Arno Heinisch: Wir haben Bock auf Nische, wir sind ein Indie-, ein Nerd-Sender!

Spätestens seit der Auszeichnung mit dem Deutschen Fernsehpreis im Jahr 2017 ist klar: Rocket Beans TV ist kein Spaßprojekt, das die Medienbranche nicht ernst nehmen müsste – ganz im Gegenteil. Seit 2015 sendet das Team rund um die Beans aus Hamburg. Als Geschäftsführer hat Arno Heinisch seit Anfang an maßgeblichen Anteil am Erfolg des Unternehmens. Wir haben mit ihm gesprochen und dabei spannende Einblicke in die immer abwechslungsreicher werdende Programmwelt der Rocket Beans bekommen.

Wie kamt Ihr auf die Idee, einen eigenen Sender im Internet zu starten?

Die Idee ist quasi „aus der Not geboren“. Wir hatten als Produktionsfirma seit 2006 die Gaming-Sendung „Game One“ für MTV produziert. Parallel dazu starteten wir 2012 unseren YouTube-Channel „Rocket Beans TV“. Wir haben zu der Zeit viele selbstentwickelte Formate bei diversen TV-Sendern gepitcht. Aber bei großen TV-Sendern besteht einfach wenig Mut, auch mal neue, innovative Formate auszuprobieren. Die Gefahr des Scheiterns ist zu groß. Deswegen lizenzert man lieber bereits erfolgreich laufende Shows aus dem Ausland und adaptiert diese für den deutschen Markt. Das ist sehr schade, aber Realität. Also haben wir einfach unseren YouTube-Channel gelauncht, um all die Formate zu realiseren, auf die wir Lust hatten. Auch abseits des Themenkosmos‘ Gaming, wie zum Beispiel unser Talkformat „Almost Daily“, das Kinomagazin „Kino+“ oder zahlreiche weitaus spitzere Shows und Formate.

Dass die meisten dieser Sendungen dann drei Jahre später auf unserem eigenen Sender rocketbeans.tv in Serie gehen würden, wussten wir damals natürlich noch nicht.

Aber zurück zur Entstehung von RBTV: Im September 2014 reduzierte die MTV-Mutter Viacom die Ausstrahlungsfrequenz – und damit auch das Auftragsvolumen – von „Game One“, da klingelten unsere Alarmglocken. Wir riefen deshalb unsere Community zum Support auf, um den YouTube-Kanal „Rocket Beans TV“ weiterhin mit coolem Content bespielen zu können. Die Resonanz auf den Aufruf war überwältigend – zeitgleich stellte die Viacom „Game One“ im Dezember 2014 komplett ein.
Wir standen nun vor der Entscheidung, unsere 20 Mitarbeiter zu entlassen und den Laden einfach dicht zu machen, oder den Schritt ins Ungewisse zu wagen und den von uns BEANS lang gehegten Traum des eigenen Fernsehsenders zu erfüllen. Mit einem Livestream im Internet. Es war klar, dass wir durch die Community-Unterstützung die ersten drei Monate des Jahres 2015 finanzieren konnten, da haben wir es einfach versucht.

Mittlerweile ist unser Unternehmen von 20 auf 90 Mitarbeiter gewachsen und wir senden pro Tag zwischen sechs und acht Stunden neuen Content – live oder voraufgezeichnet. Diese Menge an Output können die „Hauptmoderatoren“ Simon, Budi, Nils und Etienne natürlich nicht allein stemmen. Es freut uns daher sehr und macht uns stolz, dass wir mit Lars Paulsen, Sofia Kats, Gunnar Krupp, Ilyass Alaoui, Florentin Will, Donnie O’Sullivan, Andreas Lingsch und Andy Strauß talentierte und vielseitige Moderatoren am Start haben, die unser Programm ungemein bereichern.

War es ein bewusster Schritt, „klassische“ TV-Strukturen im VoD dominierten Netz zu etablieren?

Dadurch, dass wir bereits über die technische Infrastruktur und über so viel Content verfügten, dass wir auch die Nachtschiene mit eigenen Produktionen füllen konnten, wagten wir das Experiment. Wir hatten bereits mit „Game One“ acht Jahre lang gezeigt, dass wir Absurdität mögen und gerne und immer wieder Regeln durchbrechen und Neues ausprobieren. Warum dann nicht auch einfach andersherum: Klassische TV-Strukturen auf das Internet übertragen. Das passte wunderbar ins Bild.

Im Internet lassen sich viele kleine Lagerfeuer mit deutlich spezifischerer Zielgruppe schüren.

Warum glaubst Du, spielt das „Live-Erlebnis“ heutzutage immer noch eine Rolle?

„Wetten, dass ..?“ war Lagerfeuerfernsehen für alle Generationen. Wer diese Sendung verpasste, konnte am Montag im Büro oder auf dem Schulhof nicht mitreden. Heutzutage sind die Einschaltquoten einzelner Sendung zwar nicht mehr unbedingt mit „Wetten, dass ..?“-Quoten vergleichbar. Aber der Austausch über ein Format findet weiterhin statt, online. Im Internet lassen sich viele kleine Lagerfeuer mit deutlich spezifischerer Zielgruppe schüren. Die Zuschauer tauschen sich via Chat oder Forum über das Gesehene aus, und das ist weiterhin nur beim Live-Zuschauen möglich. Gerade unser Sender lebt von der Interaktivität und Partizipation der Zuschauer. In unserem Format „Chat Duell“ beispielsweise beziehen wir die Zuschauer im „Familien Duell“-Stil ein: „Wir haben den Chat gefragt …“ – die Spieler im Studio erraten dann die häufigsten Antworten. Bei „Verflixxte Klixx“ rät der Chat gemeinsam mit den Moderatoren Lars Paulsen und Florentin Will, wie viele Klicks ein YouTube-Video hat. Auf diese Elemente müssen die Zuschauer verzichten, die sich eine Sendung später als VOD anschauen.

Worin unterscheidet Ihr euch vom klassischen Fernsehen?

Unter anderem durch die genannten Aspekte hinsichtlich der Zuschauer-Einbindung. Darüber hinaus haben wir die große Freiheit, unsere Inhalte so zu gestalten, wie wir möchten. Unsere Formate stehen unter einem geringeren Quotendruck, weil sie durch die Verfügbarkeit als VOD eine längere Lebenszeit haben. Außerdem sind wir, meinem Empfinden nach, mutiger als eine Vielzahl der Fernsehmacher, weil wir eben spezifischere Zielgruppen ansprechen können als eine Prime-Time-Show auf RTL. Wir haben Bock auf Nische, wir sind ein Indie-, ein Nerd-Sender!

2017 steht für uns im Zeichen der Multichannel-Strategie.

Nach der Rückkehr zu Twitch, welche Rolle spielt es, auf welcher Plattform (YouTube, Twitch, Waipu) Ihr eure Inhalte live ausstrahlt?

Es spielt eine Rolle, auf welcheN Plattformen wir ausstrahlen, weil wir unsere Reichweite erhöhen wollen. 2017 steht für uns im Zeichen der Multichannel-Strategie. Zu Senderstart waren wir exklusiv auf Twitch, weil Twitch damals die beste Infrastruktur für unsere Bedürfnisse liefern konnte. Mit dem Wechsel zu YouTube im September 2016 war dann schon klar, dass wir uns keiner Plattform mehr exklusiv verschreiben würden. Die Rechte des Contents liegen bei uns und nicht bei der Distributionsplattform. Seit Mai sind wir auch bei waipu.tv eingespeist und derzeit stehen wir in Gesprächen mit verschiedenen weiteren Anbietern. Die Ausweitung unserer Verfügbarkeit ist noch nicht abgeschlossen.

Inwieweit ist der Erfolg von Rocket Beans TV als Antithese zu den gängigen Trends in YouTube Deutschland zu verstehen?

Wir haben uns nicht bewusst als „Antithese“ zu gängigen Trends aufgestellt oder positioniert, das ist – wenn man überhaupt von Rocket Beans TV als Antithese zu gängigen Trends sprechen will – organisch gewachsen. Was die Verweildauer der Zuschauer auf unseren Videos angeht, bilden wir sicherlich einen Gegenpol zu kurzen, schnell konsumierbaren YouTube-Clips. Die YouTube-Algorithmen verschieben sich aber aktuell. YouTube will die Zuschauer länger auf der eigenen Plattform halten, weshalb „Watched Hours“ die Währung der Stunde sind. Mit unserer Kanal-Quote von durchschnittlich rund 1,2 Millionen Watched Hours pro Woche sind wir ziemlich gut im Rennen.

Durch die zahlreichen, unterschiedlichen Feedback Kanäle (Chat, Social Media, Forum, Reddit) bekommt Ihr Lob aber auch, mitunter harsche, Kritik unmittelbar mit. Kann das auch ein Nachteil sein?

Nein, als Nachteil begreife ich diese Unmittelbarkeit nicht. Natürlich brauchen unsere Moderatoren ein dickes Fell, teilweise wird Kritik an Einzelpersonen sehr hart und unter der Gürtellinie formuliert. Das ist ein systemimmanentes Problem im Internet und betrifft nicht nur uns. Grundsätzlich ist es aber wahnsinnig hilfreich, zeitnahes Feedback auf eigene Produktionen zu bekommen. Unter anderem deshalb haben wir in mittlerweile zwei Content-Evaluationen unsere Zuschauer befragt und die Ergebnisse der ersten Umfrage deutlich in unser Programm einfließen lassen. Bei der zweiten umfassenden Umfrage zum Programm von RBTV vor einigen Wochen haben innerhalb von 5 Tagen 30.000 Menschen freiwillig mitgemacht. Das sind für uns natürlich wahnsinnig hilfreiche und wichtige Daten und Informationen!

Manche Zuschauer verfolgen den Werdegang von Etienne, Nils, Simon und Budi seit über 15 Jahren.

Ihr profitiert von einer unglaublich loyalen Community. Wie konntet Ihr diese am Anfang aufbauen? Und was unternehmt Ihr, um sie weiter glücklich zu machen?

Unsere Community existiert teilweise seit Giga-Zeiten, manche Zuschauer verfolgen den Werdegang von Etienne, Nils, Simon und Budi seit über 15 Jahren. Durch die ungewöhnlich lange Laufzeit von „Game One“ kamen dann noch zahlreiche Zuschauer hinzu – die Game-One-Facebook-Seite hatte zu Hochzeiten über eine Millionen Likes. Wir senden Formate, die unserer Community schon lange am Herzen liegen, kontinuierlich oder wieder. Dass wir dank „funk“ (ARD / ZDF) mit „Game Two“ ein Nachfolgeformat von „Game One“ an den Start bringen konnten, und dies auch noch auf unserem Sender läuft, hat sehr viele „Langzeit“-Fans – genauso wie uns selbst – sehr glücklich gemacht. Außerdem versuchen wir, wie erwähnt, Programm-Vorschläge umzusetzen und Community-nah zu agieren.

Wichtig ist daneben aber genauso, dass wir authentisch bleiben und unser Ding durchziehen, auch wenn die Zuschauer mal nicht von Anfang an von neuen Ideen überzeugt sind. Letztendlich machen wir schließlich seit über 10 Jahren, worauf wir Bock haben und sind bisher sehr gut damit gefahren.

Gibt es Pläne, die Marke RBTV auch abseits des Streamens zu etablieren?

Ja. Wir befinden uns mitten in der Transformation vom Sender zur digitalen Plattform, wir sind aber auch Produktionshaus und Kreativagentur und letztlich wird Rocket Beans mehr und mehr zum eigenständigen Brand. Fans haben sich bereits unser Firmenlogo tätowieren lassen, pflanzen bohnenformige Blumenbeete in ihren Garten oder stricken Beans-Strampler für ihre Babies.

Mit dem BEANSjam im Mai haben wir gezeigt, dass wir in der Lage sind, Game-Development anzustoßen und umzusetzen. Ideen für eigene App-Entwicklungen werden mehr und mehr zum Thema. Unsere Digitalabteilung steht auf jeden Fall in den Startlöchern!

Gab es Versuche seitens Red Bull, den Namen RBTV zu kaufen?

Nein, auf den Anruf freuen wir uns noch.

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