Auf dem Nordic Business Forum 2024 in Helsinki gab Bozoma Saint John, eine der weltweit renommiertesten Marketing-Expertinnen, Einblicke in ihre Philosophie über den Aufbau starker Marken. In einem leidenschaftlich geführten Bühneninterview sprach sie über Authentizität, den Mut zur eigenen Stimme und die feine Balance zwischen Wandel und Beständigkeit.
Der Weg in die Markenwelt
Schon zu Beginn des Gesprächs machte Saint John klar, dass ihre Karriere nicht von vornherein vorgezeichnet war. Als Tochter ghanaischer Eltern, die in die USA emigrierten, war ihr Lebensweg geprägt von kulturellen Übergängen und dem Versuch, verschiedene Welten zu verstehen. „Das hat mich neugierig auf Menschen gemacht“, sagt sie. Diese Neugier ist es, die sie in die Welt des Marketings geführt habe. „Mein Interesse galt nie Produkten oder Dienstleistungen, sondern immer den Verbindungen zwischen Menschen – und wie Marken diese Verbindungen schaffen können.“
Ich habe mir die Karriere nicht ausgesucht, sie hat mich gefunden.
Bozoma Saint John
Der Weg dorthin war allerdings alles andere als geradlinig. Saint John begann ihre berufliche Laufbahn nicht mit dem Ziel, die Marketingwelt zu revolutionieren. Vielmehr war es eine Art Zufall, der sie schließlich in diese Branche brachte. Doch wenn sie heute auf ihre Stationen bei Unternehmen wie Apple, Uber und Netflix zurückblickt, ist klar: Sie war genau dort, wo sie sein sollte. Denn sie verleiht den Marken, die sie anfasst, eine unverwechselbare, fast menschliche Tiefe.
Marken als Persönlichkeiten
In ihren Ausführungen beschreibt Saint John Marken oft wie Menschen. „Eine Marke hat eine Persönlichkeit, einen Geburtstag und eine Geschichte“, erklärte sie. „Genauso wie wir Menschen Werte und Prinzipien haben, muss auch eine Marke ihren Kern kennen und ihm treu bleiben.“ Saint John betonte, dass es Mut brauche, sich als Marke zu positionieren – besonders in Zeiten, in denen jeder Fehler in Echtzeit von der Öffentlichkeit seziert wird.
Eine Marke ist wie ein Mensch.
Bozoma Saint John
Eine starke Marke zeichne sich dadurch aus, dass sie konsistent und glaubwürdig ist. Selbst wenn sich Märkte oder Technologien verändern, müsse der Markenkern erkennbar bleiben. Am Beispiel von Apple veranschaulichte sie, wie sie beim Aufbau von Apple Music den Kern der Marke – Vertrauen, Einfachheit, Qualität – beibehielt, auch wenn es darum ging, einen neuen, damals wenig etablierten Markt für Streaming-Dienste zu erschließen.
Vom Umgang mit Krisen und Vertrauen
Das Thema Vertrauen zog sich wie ein roter Faden durch das Gespräch. Vertrauen sei der wahre Wert einer Marke, so Saint John, und werde besonders dann entscheidend, wenn ein Unternehmen in eine Krise gerät. Ihre Erfahrungen bei Uber illustrierten dies eindrucksvoll: Als sie 2017 dort als Chief Brand Officer einstieg, war das Unternehmen in zahlreiche Skandale verwickelt. „Travis Kalanick, der damalige CEO, fragte mich: ‚Wie bringen wir die Menschen dazu, uns wieder zu mögen?‘“, erinnerte sie sich. Ihre Antwort: Vertrauen müsse neu aufgebaut werden – aber nicht durch oberflächliche Imagekampagnen, sondern durch eine Rückbesinnung auf die Grundwerte der Marke und deren klare Kommunikation.
Der Markenkern rettet dich, wenn alles andere schiefgeht.
Bozoma Saint John
Ihr Rat an CEOs: Den wahren Wert einer Marke erkennt man erst dann, wenn alles andere um sie herum ins Wanken gerät. „Das Branding ist die Versicherungspolice eines Unternehmens – es ist das, was dich am Ende rettet, wenn es wirklich schwierig wird.“
Mut zur Veränderung
Doch auch die besten Versicherungen helfen nichts, wenn Unternehmen in Stillstand verharren. Viele skandinavische Traditionsunternehmen, so Saint John, hätten großartige Marken, aber oft auch das Problem, dass sie zu sehr auf Beständigkeit setzen und sich nicht genug trauen, neue Wege zu gehen. „Das ist, als würde man immer im selben Fitnessstudio trainieren. Man trifft die gleichen Leute, bleibt aber irgendwann auf einem Plateau stecken“, erklärte sie. „Es schadet nicht, mal ein neues Hobby auszuprobieren, neue Sportarten auszutesten – sei es metaphorisch gesprochen durch neue Produktlinien oder Kommunikationsstrategien.“
Manchmal braucht eine Marke einfach ein neues Hobby.
Bozoma Saint John
Dabei warnte sie aber auch vor übereilten Entscheidungen, wie der Änderung von Logos oder visuellen Identitäten. „Ein Logo zu ändern ist, als würde man sich den Bart abrasieren – man sieht danach aus wie ein völlig anderer Mensch. Solche Eingriffe müssen gut überlegt sein.“
Die Zukunft des Brandings
Angesichts ihrer eindrucksvollen Vita und dem Einfluss, den sie auf die Unternehmen, mit denen sie gearbeitet hat, ausgeübt hat, war es nicht überraschend, dass Saint John am Ende des Gesprächs nach ihrer Einschätzung zur Zukunft des Brandings gefragt wurde. „Marken, die sich nur auf Produkte konzentrieren, werden nicht überleben“, prognostizierte sie. „Es braucht eine Mission, die über das reine Produkt hinausgeht. Verbraucher wollen wissen, wofür eine Marke steht. Sie wollen sich mit ihr identifizieren können.“
Jede Marke braucht eine Mission, die größer ist als das Produkt.
Bozoma Saint John
Am Beispiel von Nike zeigte sie, wie ein Brand es schaffen kann, Konsumenten das Gefühl zu vermitteln, dass sie durch das bloße Tragen eines Produkts Teil einer größeren Gemeinschaft sind. „Nike verkauft keine Schuhe – sie verkaufen die Idee von Mut, Durchhaltevermögen und Erfolg.“ Diese „höhere Bedeutung“ sei es, die den langfristigen Erfolg einer Marke sichere.
Saint Johns Schlusswort war so kraftvoll wie die gesamte Unterhaltung: „Marken haben die Verantwortung, eine bessere Welt zu gestalten. Sie können nicht länger nur Zuschauer sein. Sie müssen Akteure werden.“ In Helsinki hinterließ sie damit ein inspiriertes Publikum und eine klare Botschaft: Markenarbeit ist weit mehr als Werbung. Sie ist ein Versprechen – an die Kunden und an die Gesellschaft.
Fotoquelle: Sami Tuoriniemi / Nordic Business Forum