Lydia Staltner

Lydia Staltner über Altersarmut, Scham und Hoffnung

Leben im Schatten der Wohlstandsgesellschaft

Es klingt wie ein Widerspruch in einem der reichsten Länder der Welt: Menschen, die ein Leben lang gearbeitet haben, landen im Alter in der Armut. Rentnerinnen und Rentner, die in jungen Jahren oft als Stützen des Wirtschaftswunders galten, sehen sich nun gezwungen, für das Nötigste zu kämpfen. Für sie wird die Rente nicht zu einer Feier der Freiheit, sondern zur Herausforderung des Überlebens. Lydia Staltner, Gründerin des Vereins LichtBlick Seniorenhilfe e.V., kennt diese Schicksale und hat es sich zur Aufgabe gemacht, dort zu helfen, wo die Gesellschaft oft nicht mehr hinschaut.

In ihren Büros in München und anderen Städten Deutschlands öffnen sich Tag für Tag Türen für Menschen, deren Geschichten die statistische Schablone der Rente als “Sicherheitsnetz” infrage stellen. Es sind Geschichten von Frauen und Männern, die trotz jahrzehntelanger Arbeit nicht genug Mittel haben, um ihre Grundbedürfnisse zu decken. Sie sparen am Essen, verzichten auf Medizin, heizen kaum, um den Euro hinterherzujagen, die für das Nötigste fehlen. In den Zahlen steckt keine Theorie, sondern ein Versagen des Systems, das den Menschen im Alter das verspricht, was ihnen oftmals verwehrt bleibt: Würde und Sicherheit.

Ein System ohne Rücksicht auf das Alter

Der Widerspruch zeigt sich besonders hart bei den Frauen, die 80 Prozent der Betroffenen ausmachen. Jahrzehnte der Gehaltslücken, unzureichende Arbeitsbedingungen und oft prekären Jobs holen sie im Alter ein. Wer nicht das Glück hatte, privat vorsorgen zu können, wird zur Bittstellerin beim Sozialamt – und das trotz eines Lebens voller Anstrengung. Ein besonders drastisches Beispiel bringt Staltner selbst ins Gespräch: Menschen, die viele Jahre lang mit einem Durchschnittseinkommen von 3000 Euro gearbeitet haben, landen oft bei einer Rente, die sie dennoch nicht vor dem Gang zum Amt bewahrt. Für sie gibt es kein entspanntes Lebensende, sondern die bittere Einsicht, dass Arbeit in einem System, das Armut nicht verhindern kann, nicht automatisch zum sicheren Ruhestand führt.

Die Sozialhilfe im Alter ist penibel berechnet, mit Beträgen für Bildung von rund zwei Euro pro Monat und minimalem Spielraum für die Anschaffung kaputter Haushaltsgeräte oder unerwartete Kosten. Es bleibt ein offenes Geheimnis, dass die Struktur dieses Systems keine Lösungen bietet – nur verzweifelte Improvisation. “Die Politiker kennen diese Realität nicht”, kritisiert Staltner, “sie haben noch nie von fünf oder sechs Euro am Tag leben müssen.”

Die Einsamkeit als zweite Armut

Neben dem materiellen Mangel begleitet viele ältere Menschen eine Einsamkeit, die der Not eine zweite, oft ebenso bedrückende Dimension hinzufügt. Die Vereinsamung greift vor allem bei Menschen um sich, deren Freunde und Familien fern sind oder längst verstorben. Während der Corona-Pandemie hat sich dieser Zustand dramatisch verschärft: Rentner, die lange isoliert waren, kamen verändert zurück – gezeichnet von einem Leben hinter verschlossenen Türen. Staltner spricht von einer „neuen Armut“, in der Isolation ebenso schmerzt wie das Fehlen materieller Mittel.

Es ist wichtig, dass man älteren Menschen das Gefühl gibt: Du bist was wert.

Lydia Staltner

Der Verein LichtBlick Seniorenhilfe e.V. bietet daher nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern schafft auch einen Raum für Begegnungen, Ausflüge und gemeinsame Aktivitäten. Es sind Momente der Gemeinschaft, die vielen älteren Menschen ein Lächeln zurückgeben, die ihnen das Gefühl vermitteln, dass sie wertgeschätzt werden. Es ist auch dieser menschliche Kontakt, der oft mehr hilft als ein Gutschein oder ein paar neue Schuhe. Für viele Senioren ist es der “Lichtblick” in einer Gesellschaft, die das Altern allzu oft in die Isolation treibt.

Eine Begegnung, die aufrüttelt

Im Gespräch mit Lydia Staltner erzählte sie von den täglichen Herausforderungen, die der Verein mit den Senioren durchlebt. Die Arbeit, so Staltner, sei kein Kampf gegen Windmühlen, sondern eine Mission, um den Ärmsten der Gesellschaft die Hand zu reichen. Sie sieht in jeder kleinen Geste des Vereins ein Stück Menschlichkeit, das einem System entgegenwirkt, das Altersarmut und Einsamkeit oft zu einer traurigen Normalität gemacht hat.

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