Stefan Lindström auf dem Web Summit in Lissabon

Stefan Lindström: Warum hat Finnland einen Botschafter für Technologie?

Technologie als Treiber von Werten und Vertrauen

Technologische Transformation ist nicht nur eine Frage des Fortschritts, sondern auch eine der Werte. Finnland liefert darauf eine bemerkenswerte Antwort. Stefan Lindström, Finnlands Ambassador of Technology, betont die Bedeutung einer technologischen Diplomatie, die auf Werten basiert und diese weltweit vertritt. Seine Aufgabe: Europäische Ideale von Datenschutz, Transparenz und demokratischer Teilhabe zu vermitteln – in einem Wettbewerb mit amerikanischen und autoritären Modellen.

Lindström beschreibt die zentrale Rolle von Technologie als Triebfeder für außenpolitische, sicherheitspolitische und wirtschaftliche Strategien. Doch nicht nur Innovationen, sondern auch Ethik und Vertrauen stehen im Mittelpunkt. „Wir müssen sicherstellen, dass Technologien den Menschen dienen und nicht nur wirtschaftlichen Interessen“, erklärt er. Besonders Künstliche Intelligenz (KI) stellt hierbei eine Herausforderung dar: Die Technologie entwickelt sich schneller, als politische Regulierungen Schritt halten können. „Wir müssen den Gebrauch regulieren, nicht die Technologie an sich“, fordert Lindström. Nur durch internationale Zusammenarbeit lässt sich ein gemeinsames Verständnis für ethische Grenzen entwickeln.

Vertrauen als Fundament

Ein zentraler Aspekt, der Finnland von anderen Ländern unterscheidet, ist das hohe Maß an Vertrauen in Regierung und Institutionen. Lindström führt dies exemplarisch am finnischen Steuersystem vor: Es ist vollständig digitalisiert und erfordert von den meisten Bürgern keinerlei manuelle Eingaben mehr. „Diese Akzeptanz basiert auf dem Vertrauen, dass die Regierung im besten Interesse der Menschen handelt“, erklärt er. Gleichzeitig warnt er vor den Gefahren, wenn dieses Vertrauen erodiert: Populistische Bewegungen nutzen Ängste vor technologischen Veränderungen, um politisches Kapital zu schlagen. Um dem entgegenzuwirken, sei eine kontinuierliche Bildung essenziell. „Nur wer versteht, wie Technologie funktioniert, kann sich sicher darin bewegen“, betont Lindström.

Die Frage ist: Welche Werte stehen im Mittelpunkt? In Europa stellen wir den Verbraucher ins Zentrum, während andere Länder Technologie nutzen, um zu kontrollieren.

Stefan Lindström

Auch kulturelle Faktoren spielen eine Rolle. In Finnland ist es üblich, bereits jungen Menschen Zugang zu Technologien zu ermöglichen. Öffentliche Einrichtungen wie Bibliotheken bieten Makerspaces, Tonstudios und 3D-Drucker an, die für alle zugänglich sind. Diese „Enablement“-Mentalität zieht sich durch die gesamte Gesellschaft und fördert eine innovationsfreundliche Kultur.

Innovationskraft durch Vielfalt und Bildung

Ein weiteres Erfolgsrezept Finnlands liegt in der Förderung von Vielfalt und Zusammenarbeit. Universitäten wie die Aalto-Universität vereinen technische, wirtschaftliche und künstlerische Disziplinen unter einem Dach. „Wenn Ingenieure, Betriebswirte und Kreative zusammenarbeiten, entstehen außergewöhnliche Ideen“, sagt Lindström.

Dieses Prinzip zeigt sich auch bei Veranstaltungen wie der Slush in Helsinki, der weltweit beachteten Konferenz für Start-ups. Ursprünglich von zwei Unternehmern initiiert, wird sie heute von Studierenden organisiert und dient als Sprungbrett für junge Innovatoren. Viele ehemalige Organisatoren haben eigene Unternehmen gegründet und investieren nun in die nächste Generation. „Es ist typisch für Finnland, dass erfolgreiche Unternehmer etwas zurückgeben“, bemerkt Lindström.

Europäische Lektionen

Trotz aller Erfolge sieht Lindström auch in Europa Nachholbedarf. Insbesondere Deutschland könnte von der finnischen Herangehensweise lernen. „Es fehlt an einer Kultur des gegenseitigen Lernens und Teilens“, kritisiert er. Während in Finnland Unternehmen frühzeitig gefördert und vernetzt werden, wartet man in Deutschland oft, bis diese bereits erfolgreich sind. Auch die Zusammenarbeit innerhalb der EU könnte verbessert werden. Eine EU-weite Sammlung an Best Practices könnte helfen, Beispiele für innovative Ansätze hervorzuheben und Raum für gegenseitige Unterstützung zu schaffen.

Im persönlichen Gespräch mit Stefan Lindström, das im Rahmen der Tech-Konferenz Slush in Helsinki und damit eine Woche nach seinem Auftritt auf dem Web Summit in Lissabon stattfand, wurde deutlich, wie wichtig eine klare Vision und mutige Entscheidungen für den technologischen Fortschritt sind. Finnland zeigt, dass kleine Länder große Impulse setzen können – und dass Vertrauen, Bildung und Werte die Grundlage für eine erfolgreiche Zukunft bilden.

Fotoquelle: Ramsey Cardy/Web Summit via Sportsfile

Total
0
Shares
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Prev
Slush 2024: Europas Start-up-Szene zwischen Optimismus und Unsicherheit
Slush 2024 in Helsinki

Slush 2024: Europas Start-up-Szene zwischen Optimismus und Unsicherheit

Inspiration, Deals und Networking in Helsinki

Diese Beiträge könnten dir auch gefallen