Politischen Gewissheiten gibt es nicht mehr. Krisen reihen sich aneinander, die Zuversicht schwindet – und mit ihr das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Institutionen der liberalen Demokratie. Ricarda Lang, Mitglied des Bundestages und ehemalige Vorsitzende von Bündis 90/Die Grünen, spricht im Rückblick auf die turbulenten Jahre und den aktuellen Wahlkampf von einer „tiefen Vertrauenskrise“ und mahnt: „Wir müssen jetzt aufwachen.“
Wenn das Vertrauen bröckelt
Lang beschreibt die Lage als paradox: „Die Probleme werden größer, die Antworten der Politik immer kleiner.“ Damit bringt sie eine Entwicklung auf den Punkt, die nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen westlichen Demokratien spürbar ist. Die Klimakrise, geopolitische Umwälzungen und soziale Spannungen haben die Erwartungen an politische Führung erhöht. Doch der Eindruck, dass Politikerinnen und Politiker oft nur „im Klein-Klein“ agieren, verstärkt das Misstrauen.
Es reicht nicht, die Bürgerinnen und Bürger zu beschwichtigen – wir müssen sie wie Erwachsene behandeln und ehrlich über die Herausforderungen sprechen.
Ricarda Lang
Eine zentrale Ursache sieht Lang in der mangelnden Ehrlichkeit der Politik: „Immer zu sagen, die Probleme sind riesig, aber bei euch ändert sich nichts, das glaubt uns niemand mehr.“ Die Menschen spürten, dass etwas nicht zusammenpasse, wenn Krisen dramatisch beschrieben, die Lösungen aber klein und technokratisch blieben.
Verantwortung über Generationen hinaus
„Das Wichtige wird oft dem Dringlichen geopfert“, sagt Lang und verweist auf die Schwierigkeiten, langfristige Politik in einem System zu machen, das auf kurze Wahlzyklen und schnelle Ergebnisse ausgerichtet ist. Sie erinnert daran, wie sehr Versäumnisse der Vergangenheit heute belasten: „Hätten wir in den 90er-Jahren konsequent Klimaschutz betrieben, wäre vieles einfacher.“
Lang fordert eine Politik, die Verantwortung über Legislaturperioden hinaus denkt – auch wenn dies mit unbequemen Entscheidungen verbunden ist. „Wir müssen langfristige Ziele setzen und sie in Etappen umsetzen, die überprüfbar sind.“ Doch sie räumt ein, wie schwierig dies in einem politischen System sei, in dem kurzfristige Erfolge oft mehr Gewicht haben.
Die Gefahr des Populismus
Besonders alarmiert zeigt sich Lang über die zunehmende Vernetzung nationalistischer Strömungen in Europa und den USA. „Nationalismus hält nicht davon ab, ein gemeinsames Projekt zu verfolgen“, warnt sie. Ob Meloni, Trump oder die AfD – Lang sieht eine „globale Rechte“ entstehen, die autoritäre Politik salonfähig mache.
Die Reaktion der demokratischen Kräfte hält sie für unzureichend: „Man darf sich nicht der Illusion hingeben, Populisten zu bekämpfen, indem man selbst populistischer wird.“ Beispiele wie Österreich oder Großbritannien hätten gezeigt, dass der Rechtsruck konservativer Parteien meist nur den Extremisten nütze. Stattdessen brauche es klare, substanzielle Antworten, die Vertrauen zurückgewinnen.
Demokratie braucht Klarheit
Für Lang ist klar, dass die liberale Demokratie nur bestehen kann, wenn sie wieder Antworten liefert, die dem Ausmaß der Krisen gerecht werden. „Wir müssen die Bürgerinnen und Bürger als Erwachsene behandeln“, sagt sie. Das bedeute auch, offen über die Herausforderungen zu sprechen und zu erklären, warum Veränderungen notwendig seien.
„Freiheit entsteht immer auch in Gemeinschaft“, betont sie und mahnt an, Solidarität und Freiheit nicht als Gegensätze, sondern als Einheit zu begreifen. Für sie ist diese Haltung essenziell, um das Vertrauen in die Demokratie wieder aufzubauen.
Ricarda Langs Perspektiven sind eine eindringliche Warnung und ein Appell zugleich: Die Demokratie muss sich neu definieren – nicht nur defensiv, sondern mit Mut und Klarheit. Ein Gespräch, das zum Nachdenken anregt.
Fotoquelle: Elias Keilhauer