Giedrimas Jeglinskas auf der DLD Conference in München

Giedrimas Jeglinskas: Kann Europa von Litauens Entschlossenheit lernen?

5-6 Prozent des BIP für Verteidigung

Der Glaube, dass der Kalte Krieg endgültig vorbei sei und geopolitische Konflikte auf europäischem Boden der Vergangenheit angehören, hat sich als Illusion erwiesen. Die Eskalation des Ukraine-Kriegs und Russlands aggressives Verhalten gegenüber seinen Nachbarn haben Europa aus seiner sicherheitspolitischen Trägheit gerissen. Besonders Litauen, unmittelbar an Russland und Belarus angrenzend, hat diese Bedrohung stets als real empfunden und zieht daraus nun klare Konsequenzen.

Giedrimas Jeglinskas, Vorsitzender des Ausschusses für nationale Sicherheit und Verteidigung im litauischen Parlament und ehemaliger Assistant Secretary General für Executive Management bei der NATO, sieht in der Verteidigungsausgabenpolitik seines Landes ein klares Signal. Litauen plant, fünf bis sechs Prozent seines Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung zu investieren – ein bemerkenswerter Schritt in einer Zeit, in der viele europäische Staaten noch zögern. „Wir müssen sicherstellen, dass Abschreckung funktioniert“, betont Jeglinskas. „Die Lehren aus dem Ukraine-Krieg zeigen: Unterfinanzierung und eine passive Verteidigungshaltung können fatale Folgen haben.“

Verteidigung als europäische Aufgabe

Die Debatte über Verteidigung in Europa ist nicht neu, aber ihre Dringlichkeit hat eine neue Dimension erreicht. In Deutschland, wo das Sondervermögen der Bundeswehr politisch kontrovers diskutiert wird, kritisieren Stimmen die mangelnde Förderung europäischer Rüstungsunternehmen zugunsten amerikanischer. Jeglinskas hält dem entgegen: „Eine stärkere europäische Verteidigungsindustrie ist keine Option, sondern eine Notwendigkeit. Es geht nicht nur um strategische Autonomie, sondern darum, auf Bedrohungen effektiv zu reagieren.“

Ein Blick auf die Verteidigungsausgaben macht die Diskrepanz zwischen den USA und Europa deutlich: NATO-Staaten geben gemeinsam etwa 1,5 Billionen Dollar pro Jahr für Verteidigung aus, wobei rund zwei Drittel auf die USA entfallen. Europa hingegen bleibt fragmentiert. Jeglinskas sieht dennoch Potenzial: „Wenn europäische Staaten fünf Prozent ihres BIP in die Verteidigung investieren würden, könnte das nicht nur die Sicherheit erhöhen, sondern auch Europas Innovationskraft stärken.“

Eine Frage der Einheit

Trotz der Dringlichkeit bleibt die Einheit Europas in Verteidigungsfragen eine Herausforderung. Nationale Interessen, politische Differenzen und das Erstarken populistischer Bewegungen erschweren eine koordinierte Strategie. „Ein gemeinsames Bedrohungsbild ist unverzichtbar“, erklärt Jeglinskas. Doch schon die Frage, wer oder was die größte Gefahr darstellt, sorgt für Uneinigkeit.

Wir erleben zunehmend hybride Bedrohungen: Desinformation, Sabotage und wirtschaftliche Destabilisierung sind genauso gefährlich wie militärische Angriffe.

Giedrimas Jeglinskas

Dabei geht es um mehr als militärische Stärke. Jeglinskas warnt: „Ein russischer Sieg in der Ukraine würde nicht nur Europa destabilisieren, sondern auch das globale Machtgleichgewicht verschieben. Autoritäre Regime wären ermutigt, ihre Einflusszonen aggressiv auszubauen.“ Besonders China könnte dies als Einladung verstehen, Taiwan anzugreifen. Die Konsequenzen wären laut Jeglinskas „verheerend – für Europa und die Weltordnung“.

Verantwortung durch Vorbereitung

In einer Welt, die zunehmend von hybriden Bedrohungen, Desinformation und wirtschaftlicher Destabilisierung geprägt ist, bleibt die Verteidigung auch eine gesellschaftliche Aufgabe. Studien zeigen, dass viele junge Europäer einen Krieg in Zentraleuropa für wahrscheinlich halten, sich aber gleichzeitig nicht bereit erklären, ihr Land zu verteidigen. Jeglinskas sieht hier die Politik in der Pflicht: „Klare Kommunikation und ehrliche Debatten über die Realitäten moderner Kriegsführung sind unverzichtbar.“

Auf der DLD in München machte Jeglinskas deutlich, dass Europas Verteidigungsfähigkeit nicht allein von finanziellen Mitteln abhängt. Es braucht politischen Willen und gesellschaftliche Akzeptanz, um Verantwortung zu übernehmen und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Frieden ist nicht nur ein Ideal – er ist eine Aufgabe, die konsequentes Handeln erfordert.

Fotoquelle: Ulrike Froemel for DLD/Hubert Burda Media

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