Ute Hildebrandt

Ute Hildebrandt: Wie nah ist uns der Fortschritt wirklich?

Vertrauen in der Schwebe

Es gibt eine Leerstelle zwischen Fortschritt und Verständnis. Eine Lücke, in der Vertrauen versickert. Technologien wie Künstliche Intelligenz, Digital Twins oder Quantencomputing verheißen Effizienz, Geschwindigkeit und Innovation. Doch was für die Unternehmenslenkung nach Zukunft klingt, löst bei vielen Mitarbeitenden und in der breiteren Öffentlichkeit Misstrauen aus. Die internationale Kommunikationsagentur Hotwire hat diesen Spalt vermessen: In einer Studie mit über 8.000 Befragten in fünf europäischen Ländern zeigt sich, wie groß die Diskrepanz zwischen Führungsetagen und Gesellschaft in Fragen technologischer Entwicklung inzwischen geworden ist.

Die Ergebnisse der Erhebung sind eindeutig: Während Unternehmenslenker in euphorischer Tonlage von Effizienz und Potenzial sprechen, bleiben Mitarbeitende skeptisch. „They’re not stupid,“ sagt eine Stimme aus dem britischen Teil der Studie. Sie wissen genau, was es bedeutet, wenn von gesteigerter Effizienz gesprochen wird: Arbeitsplatzabbau, wachsende Unsicherheit und ein immer größerer Druck, sich anzupassen.

Die Rhetorik der Effizienz

„Erhöhte Effizienz“ gilt vielen als positiv konnotiertes Codewort für Kostensenkung. In der Hotwire-Studie wurde genau diese Wirkung als potenziell größter Nutzen neuer Technologien benannt. Es ist ein Narrativ, das klare Konsequenzen hat: Wer sich nicht permanent neu qualifiziert, wird potenziell abgehängt. Für Ute Hildebrandt, CEO Continental Europe bei Hotwire, liegt hier das Kernproblem: „Wir sind an einem Punkt, an dem nicht nur einzelne Prozesse durch Technologie ergänzt, sondern ganze Berufsbilder ersetzt werden.“

Dennoch zeigt sich auch eine leise Bewegung: Ein europäisches Selbstbewusstsein beginnt zu keimen. Unternehmen beginnen, kritische Daten vermehrt in europäische Clouds zu übertragen. Regulatorische Vorstöße aus Brüssel, die lange als Innovationsbremse galten, werden in Zeiten globaler Unsicherheit zur strategischen Ressource. „Wir exportieren Regulierung – und das sehr erfolgreich“, sagt Hildebrandt.

Neue Kommunikation oder nur neue Hüllen?

In der Kommunikation klafft die nächste Lücke: Unternehmen sprechen viel über Technologie, aber oft unklar. „Es braucht eine Entschwurbelungsinitiative“, so Hildebrandt. Besonders im B2B-Bereich sind Webseiten oft voll von generischen Buzzwords, die mehr verschleiern als erklären. Dabei geht es heute nicht nur darum, eine Lösung zu verkaufen, sondern auch Vertrauen zu stiften – in eine Technologie, in die dahinterstehenden Unternehmen, in ihre gesellschaftliche Verantwortung.

Viele Unternehmen reden über Technologie, aber sie erklären nicht, was sie eigentlich tun – es fehlt an Klarheit und Haltung.

Ute Hildebrandt

Hilfreich wäre eine Kommunikation, die nicht nur sendet, sondern Mehrwert liefert. Nicht jedes Format muss kurz und oberflächlich sein. Tiefe, Kontext und Haltung werden wieder gefragt. „Ich glaube, es geht mehr um Demokratisierung, mehr um Community und auch darum, echten Mehrwert zu bieten“, sagt Hildebrandt. Dafür brauche es Formate, die nicht aus dem Elfenbeinturm gesendet, sondern mit den Menschen entwickelt werden.

Zwischen Vertrauen und Verantwortung

Die Studie zeigt: Die Allgemeinheit vertraut am meisten den Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Forschung, nicht den Tech-Bros der Vergangenheit. Ein Aufbruch also, hin zu mehr Sachlichkeit, mehr Ernsthaftigkeit – weg vom Silicon-Valley-Mystizismus. Doch diese Entwicklung muss auch verteidigt werden. Denn wo Verantwortung eingefordert wird, braucht es auch Transparenz.

„Wenn niemand etwas sagt, bleibt wahnsinnig viel Raum unkommuniziert“, warnt Hildebrandt. Doch gerade hier liege auch die Chance: Technologie nicht nur als betriebswirtschaftliches Mittel zur Effizienzsteigerung zu verstehen, sondern als gesellschaftlichen Faktor, der gestaltet werden muss. Dazu gehört auch, die Menschen mitzunehmen, ihnen zuzuhören und nicht nur zu dirigieren.

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