Rieke Havertz

Rieke Havertz über Autokratie, die USA und die Rolle Europas

Zwischen Hoffnung und Hochrisikospiel

Noch ist nichts entschieden. Doch die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten werfen einen langen Schatten über die westliche Welt. Seit Donald Trump seine zweite Amtszeit angetreten hat, scheint sich das politische Tempo vervielfacht zu haben. Entscheidungen, die früher diplomatisch abgestimmt und vorbereitet wurden, werden nun per Erlass umgesetzt. Militärschläge erfolgen ohne vorherige Konsultation der Bündnispartner, außenpolitische Signale werden über soziale Medien gesendet – oft in einem Ton, der an Drohungen erinnert. „Das Tempo hat selbst mich überrascht“, sagt Rieke Havertz, US-Korrespondentin der ZEIT und Co-Host des Podcasts „OK, America?“. Sie beobachtet die Entwicklungen seit Jahren. Dass Trump eine zweite Amtszeit nicht nutzen würde, um versöhnlicher zu regieren, war ihr klar. „Aber wie schnell er seine Linie durchsetzt, das war schon erstaunlich.“

Trumps Außenpolitik ist dabei so widersprüchlich wie strategisch. Während er China derzeit erstaunlich ruhig begegnet, forciert er zugleich den Rückzug aus der Ukraine-Unterstützung und baut Druck auf den Iran auf. „Er wird sich insoweit involvieren müssen, dass die Erzählung seines militärischen Triumphs fortgeschrieben werden kann“, erklärt Havertz. Doch auch für den amerikanischen Präsidenten sei Nahost ein politisches Risiko – Trumps Basis wolle keine weiteren Kriege.

Europa in der Sandwichposition

Die USA ziehen sich zurück – und lassen Europa mit Fragen der Sicherheit, Diplomatie und Entwicklungspolitik allein. In Den Haag präsentierten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs zuletzt handzahm: Der NATO-Gipfel musste ein Erfolg werden, koste es, was es wolle. Dass Deutschland dem von Trump geforderten 5-Prozent-Ziel zustimmte, sei daher kein Zufall gewesen, sondern taktisches Kalkül. „Ich verstehe, dass man den Gipfel unbedingt als Erfolg verkaufen wollte“, sagt Havertz. „Aber wie verlässlich ist das alles?“ Der Verdacht liegt nahe, dass die transatlantische Zusammenarbeit mehr auf Hoffnung als auf festen Absprachen ruht. Was heute als gemeinsamer Kurs erscheint, könnte morgen von Trump per Tweet kassiert werden.

Die eigentliche Herausforderung für Europa liegt daher nicht in der kurzfristigen Reaktion, sondern in einer langfristigen strategischen Neuausrichtung. „Europa muss sich fragen, was es nicht nur aus Freundschaft zu den Amerikanern macht, sondern was es aus eigener Überzeugung tut“, sagt Havertz. Das gelte für die Sicherheitspolitik ebenso wie für Handelsfragen oder Visa-Vergaben. „Wir brauchen souveräne Positionen – nicht nur diplomatische Rücksichtnahme.“

Demokratie in der Defensive

Parallel zur außenpolitischen Volatilität erlebt die amerikanische Demokratie einen inneren Erosionsprozess. Die Gewaltenteilung funktioniert nur noch eingeschränkt. Zwar urteilen Gerichte vielfach unabhängig, doch Trump ignoriert zunehmend ihre Entscheidungen – oder weiß, dass ihm spätestens der Supreme Court wohlgesonnen ist. Dass dieses höchste Gericht in den USA durch gezielte politische Strategie konservativ besetzt wurde, sei laut Havertz die eigentliche Lebensleistung von Mitch McConnell, dem langjährigen republikanischen Strippenzieher im Senat. „Für viele in Trumps Umfeld ist die Staatsform Demokratie nicht erstrebenswert“, sagt sie. „Sie fantasieren von einem postdemokratischen Präsidenten 2028.“

Viele Menschen haben sich ins Private zurückgezogen, auch politisch Engagierte – das ist eigentlich kein amerikanischer Charakterzug.

Rieke Havertz

Trotz aller Bedrohungsszenarien gibt es auch Anzeichen der Hoffnung: Protestbewegungen wie „No King“ formieren sich, neue politische Figuren wie Zoran Mamdani gewinnen an Einfluss. Die Resignation, die Havertz noch im Winter bei vielen ihrer amerikanischen Freunde und Gesprächspartner beobachtete, weicht allmählich einer neuen Entschlossenheit. „Jetzt gehen viele wieder in die Aktion – und das hält auch meine eigene Hoffnung am Leben.“

Wie belastbar diese Hoffnung ist, wird sich zeigen müssen. Sicher ist nur: Europa darf sich nicht länger mit der Beobachterrolle zufriedengeben. Die politische Zeitenwende erfordert Klarheit, Haltung und strategische Weitsicht. Und womöglich auch den Mut, einen Präsidenten wie Donald Trump nicht nur zu umwerben, sondern – wo nötig – klar zu konfrontieren.

Podcast anhören:

Fotoquelle: Jacobia Dahm

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