Auf dem 48forward Festival 2024 in der Alten Kongresshalle diskutierten Sawsan Chebli und Daniel Fürg über die dringende Notwendigkeit, Menschenrechte auch im digitalen Raum zu schützen. Das Gespräch beleuchtete die vielfältigen Bedrohungen, denen Aktivist:innen und normale Nutzer:innen im Internet ausgesetzt sind, sowie die Verantwortung von Politik und Plattformen.
Digitale Gewalt und ihre Folgen
Sawsan Chebli betonte, dass die digitale Welt nicht mehr von der analogen zu trennen sei. „Wenn wir über Menschenrechte sprechen, beziehen wir das immer nur auf die analoge Welt“, sagte sie. Doch die Realität zeigt, dass Menschenrechte auch im Netz massiv angegriffen werden. Hasskommentare, Bedrohungen und organisierte Hetzkampagnen gehören für viele Aktivist:innen zum Alltag. Chebli selbst berichtet von täglichen Beleidigungen und Morddrohungen, die sie im Netz erhält. Diese Angriffe sind oft nicht zufällig, sondern systematisch organisiert, um bestimmte politische Haltungen zu unterdrücken.
Die Rolle der Politik
Die Politik habe viel zu spät auf die Bedrohung durch digitale Gewalt reagiert, so Chebli. Der Mord an Walter Lübcke sei ein Weckruf gewesen, doch trotz einiger gesetzlicher Fortschritte, wie dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz, laufen viele Anzeigen ins Leere. Chebli kritisiert die mangelnde Ausstattung und Sensibilität der Justiz im Umgang mit digitaler Gewalt. „Unsere Justiz ist nicht ausgerüstet genug“, erklärte sie. Es fehle an Personal und Ressourcen, um effektiv gegen Hass im Netz vorzugehen.
Verantwortung der Plattformen
Ein zentrales Thema war die Verantwortung der sozialen Netzwerke. Chebli machte deutlich, dass Plattformen wie Twitter und Facebook von Hass und Empörung profitieren, da solche Inhalte die Nutzer:innen länger auf den Seiten halten. Sie lobte den Digital Services Act der EU, der die großen Tech-Giganten stärker regulieren soll, forderte jedoch eine konsequente Umsetzung dieser Gesetze.
Notwendigkeit von digitaler Zivilcourage
Chebli appellierte an die Zivilcourage der Internetnutzer:innen. Sie verglich die Situation im Netz mit einem analogen Vorfall, bei dem jemand auf der Straße zusammengeschlagen wird. „Wenn wir im analogen Leben jemanden sehen, der zusammengeschlagen wird, reagieren wir. Warum nicht auch im Netz?“ Es sei wichtig, Betroffene von digitalem Hass zu unterstützen und ihnen das Gefühl zu geben, nicht allein zu sein.
Verantwortung der Medien
Auch die Medien tragen eine große Verantwortung, so Chebli. Verkürzte und polarisierende Überschriften, die oft aus Tweets oder Posts konstruiert werden, tragen zur Verbreitung von Zerrbildern und Verschwörungstheorien bei. „Medien sind konstituent dafür, wie dieses Land sich weiterentwickelt, auch wie demokratisch wir bleiben“, sagte sie. Ein verantwortungsvoller Umgang mit Informationen sei entscheidend, um das Vertrauen in demokratische Institutionen zu stärken.
Stärkung des Wir-Gefühls
Zum Abschluss betonte Chebli die Notwendigkeit, das Wir-Gefühl in der Gesellschaft zu stärken. „Die Zukunftsfähigkeit dieses Landes hängt davon ab, ob wir es schaffen, dieses Wir zu stärken“, sagte sie. Es sei entscheidend, dass sich alle Mitglieder der Gesellschaft als Teil eines gemeinsamen Ganzen verstehen und aktiv zur Verteidigung der demokratischen Werte beitragen.
Das Gespräch auf dem 48forward Festival machte deutlich, dass der Schutz der Menschenrechte im digitalen Raum eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, die Engagement und Zivilcourage von jeder und jedem Einzelnen erfordert.
Fotoquelle: Meltem Salb