Navigating The Cyber Frontier

Die zerbrechliche Verteidigungslinie

Cybersicherheit als geopolitisches Risiko

Es war ein selten klares Bekenntnis, das Robert Hansen, einer der weltweit renommiertesten Cybersicherheitsexperten, während der SXSW 2025 in Austin abgab: „Wenn ich wollte, könnte ich erneut ins Pentagon eindringen.“ Hansen, der in der Vergangenheit im Rahmen eines Programms zur Schwachstellenanalyse des US-Verteidigungsministeriums weit über das erlaubte Maß hinausging, wollte mit seiner Aussage nicht prahlen. Vielmehr illustrierte er ein grundlegendes Problem: Die Verwundbarkeit digitaler Infrastrukturen bleibt selbst bei den vermeintlich am besten geschützten Institutionen der Welt bestehen.

Das Panel, moderiert von Tilmann Köllner, stellte genau diese Fragilität in den Mittelpunkt. Gemeinsam mit Hansen diskutierten die Unternehmerin und Investorin Katrina Salazar sowie der Futurist und 48forward-Gründer Daniel Fürg über die Bedrohungslage im digitalen Raum – und die mangelhaften Strategien vieler Länder, insbesondere Deutschlands, um mit diesen Gefahren umzugehen.

Angriff auf eine träge Bürokratie

„Ich würde der Einschätzung zustimmen, dass die Cybersicherheitslage in Deutschland alarmierend ist“, erklärte Fürg. „Wir haben jahrelang verschlafen, uns wirklich effektiv zu schützen.“ Während Länder wie Russland und China längst systematisch digitale Angriffe auf westliche Infrastrukturen durchführen, herrsche in Europa und insbesondere in Deutschland eine gefährliche Trägheit.

Dass 70 Prozent der deutschen Unternehmen laut einer aktuellen Umfrage Cyberangriffe als existenzielle Bedrohung wahrnehmen, sei deshalb kein schlechtes Zeichen, sondern ein notwendiges Erwachen, so Fürg weiter: „Viele Unternehmen haben viel zu lange geglaubt, dass sie nicht interessant genug für Angriffe sind.“ Die Realität sei eine andere.

Robert Hansen machte in der Diskussion deutlich, dass Unternehmen und Regierungen ihre Verteidigungsstrategie radikal überdenken müssten. Die zentralen Fehler: veraltete Systeme, schlecht gesicherte Administratorenzugänge und die mangelnde Bereitschaft, in Schutzmechanismen zu investieren. Während es in Deutschland oft an der politischen Umsetzung hapert, sind es in den USA andere Faktoren, die Sicherheitslücken begünstigen: „Die Amerikaner hängen an ihrem Freiheitsbegriff“, sagte Hansen. „Jede staatliche Kontrolle über den digitalen Raum würde einen Aufschrei verursachen.“ Andere Länder wie China, Nordkorea oder Iran dächten hier längst anders und behandelten digitale Grenzen wie physische Grenzen.

Das geopolitische Dilemma Europas

Doch neben der digitalen Unsicherheit gibt es eine weitere Schwäche: die geopolitische Abhängigkeit Europas von den USA. Die Diskussion nahm eine brisante Wendung, als Fürg das Beispiel von Kampfjets anführte, die europäische Staaten in den USA kaufen – und die täglich mit einer Software-Freigabe aus Washington versehen werden müssen. „Sollte die US-Regierung entscheiden, dass ein europäisches Land ihre Interessen nicht mehr vertritt, könnten sie von heute auf morgen den Zugriff auf zentrale militärische Technologien kappen“, so Fürg.

Dieses Argument führte direkt zur entscheidenden Frage: Wie viel digitale Souveränität benötigt Europa? Die Diskussionsteilnehmer waren sich einig, dass ein höheres Maß an Eigenständigkeit essenziell sei. Hansen sprach sich sogar für eine „Balkanisierung“ der digitalen Infrastrukturen aus: „Jedes Land, das sich ernsthaft um seine Sicherheit sorgt, wird in Zukunft eigene Betriebssysteme, eigene Cloud-Infrastrukturen und eigene militärische Technologien entwickeln müssen.“

Salazar ergänzte, dass Cybersicherheit nicht nur ein technologisches, sondern vor allem ein menschliches Problem sei: „Am Ende sind es Menschen, die Systeme sicher oder unsicher machen.“ Vertrauen in Technologie müsse auf einer klaren Sicherheitsarchitektur basieren – und auf politischen Entscheidungen, die nicht von kurzfristigen Interessen geleitet werden.

Europa muss sich entscheiden

Die Debatte über Europas digitale Zukunft ist damit noch lange nicht abgeschlossen. Braucht es eine einheitliche europäische Regulierung, um Cybersicherheit zu gewährleisten, oder wird die digitale Selbstständigkeit der einzelnen Nationen zur neuen Realität? Fürg formulierte es drastisch: „Wir müssen endlich die naive Vorstellung aufgeben, dass Frieden – auch im digitalen Raum – selbstverständlich ist. Die Frage ist nicht, ob und mit wem wir uns in einem Cyberwar befinden, sondern wie wir mit der ständigen Bedrohung umgehen.“

Der Befund der Panel-Diskussion ist eindeutig: Die Risiken sind bekannt, die Lösungen liegen auf dem Tisch – doch ohne entschlossene politische Entscheidungen bleibt Europas digitale Verteidigungslinie brüchig. Die Frage ist nicht mehr, ob ein Angriff kommt, sondern nur noch, wann.

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