Deutschland erlebte in den vergangenen Jahren eine Phase der Stabilität, die in Europa und der Welt oft als Beispiel für politisches Krisenmanagement und wirtschaftliche Stärke galt. Doch die andere Seite dieser Medaille ist ein lähmender Stillstand, verursacht durch die jahrzehntelange Dominanz der Union aus CDU und CSU, die wenig Mut zeigte, echte Reformen anzustoßen. Die Union, von einem konservativen Pragmatismus geprägt, hielt das Land an der Oberfläche – kaum gewagt, nie aus der Komfortzone heraus. Heute nutzt Friedrich Merz die Gelegenheit, Missstände bei der aufgelösten Ampel-Koalition anzuprangern. Doch vieles von dem, was er kritisiert, ist das Ergebnis einer Union, die wahrhaftige Transformation oft verschlafen hat. Ein Rückblick auf eine Bilanz, die wenig Licht und viel Schatten zeigt.
Digitalisierung: Eine ungenutzte Chance für Fortschritt
Die Politik der Union in der Digitalisierung könnte als eines der großen Versäumnisse der jüngeren deutschen Geschichte eingehen. Während Länder wie Estland, Südkorea und die USA längst digitale Gesellschaften aufgebaut haben, steckt Deutschland in einer analogen Verwaltung fest. Schulen, Behörden und Unternehmen klagen über langsames Internet und einen Mangel an digitalen Konzepten. Breitbandausbau, E-Government und der Aufbau digitaler Infrastrukturen blieben unter CDU/CSU-geführter Regierung jahrelang zögerlich und halbherzig.
Während der Pandemie wurden diese Defizite besonders deutlich. Schulen waren nicht ausreichend auf digitalen Unterricht vorbereitet, Verwaltungen überlastet und ineffizient. Die Ursachen für diese Rückstände liegen in einer überbordenden Bürokratie, mangelnden Investitionen und dem fehlenden politischen Willen der Union, echte Strukturreformen anzugehen. In einer Zeit, in der digitale Kompetenz über wirtschaftlichen Erfolg und gesellschaftliche Teilhabe entscheidet, hat Deutschland wertvolle Jahre verloren.
Energiewende: Mutige Ziele, halbherzige Umsetzung
Die Energiewende, die weltweit Aufmerksamkeit erregte, könnte ein deutsches Erfolgsprojekt sein – doch die Realität zeigt ein anderes Bild. Der Atomausstieg nach der Fukushima-Katastrophe wurde von der Union beschlossen, doch der Ausbau erneuerbarer Energien blieb schleppend und ohne übergeordneten strategischen Rahmen. Statt eine energiepolitische Unabhängigkeit zu schaffen, führte die Union-geführte Energiepolitik zur Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und insbesondere russischem Gas.
Die Infrastruktur für erneuerbare Energien hinkt hinterher, die Akzeptanz für Windkraft und Solarprojekte wurde durch die zögerliche Unterstützung der Union geschwächt. Auch auf internationaler Bühne zeigte sich die Union oft als Klima-Vorreiterin, doch zu Hause fehlte eine konsequente Umsetzung. Diese Nachlässigkeit fällt Deutschland nun auf die Füße und stellt die politischen Nachfolger vor die Herausforderung, Versäumtes aufzuarbeiten und eine tragfähige Energiestrategie zu entwickeln.
Bildungspolitik: Ein vernachlässigtes Fundament
Die Bildung, das Fundament einer jeden modernen Gesellschaft, blieb unter der Führung der Union ein vernachlässigtes Thema. Die Union investierte kaum in strukturelle Bildungsreformen und ließ eine Generation heranwachsen, die häufig schlecht für die Anforderungen der digitalen und technologisierten Arbeitswelt vorbereitet ist. Insbesondere in den MINT-Fächern – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – mangelte es an gezielter Förderung.
Statt Innovationen in den Bildungseinrichtungen voranzutreiben, führte die Bildungspolitik der Union zu einem föderalen Wirrwarr, in dem Zuständigkeiten zersplittert und Chancen vergeben wurden. Ein Bildungssystem, das in internationalen Rankings zurückfällt und junge Menschen kaum für die Zukunft vorbereitet, ist das Resultat einer Politik, die das Potenzial von Bildung als Zukunftsinvestition verkannt hat. Heute spürt Deutschland die dramatischen Folgen dieses Versäumnisses: Der Fachkräftemangel ist akuter denn je, und das Bildungssystem verlangt nach tiefgreifenden Reformen.
Gesundheitssystem: Überlastet und unzureichend finanziert
Auch das Gesundheitssystem leidet unter den verpassten Reformen der Union. Das System mag noch immer eines der besten weltweit sein, doch es ächzt unter der Last von Personalmangel, knappen finanziellen Mitteln und überforderter Pflegeinfrastruktur. Schon vor der Pandemie war klar, dass eine demografisch bedingt alternde Bevölkerung eine bessere Pflegeinfrastruktur und eine nachhaltige Finanzierung des Gesundheitssystems verlangt – doch die notwendigen Reformen blieben aus.
Während die Union das Gesundheitssystem pragmatisch verwaltete, wurde es an seine Grenzen gebracht. Die Pandemie verstärkte die chronischen Defizite, die unter den Bedingungen eines veralteten Abrechnungssystems und einer auf Profit fokussierten Krankenhauspolitik kaum mehr tragbar sind. Heute zeigt sich, wie dringend das Gesundheitssystem umfassend reformiert werden müsste, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden.
Sozialpolitik: Ein Netz mit Lücken
In einer alternden und zunehmend sozial ausdifferenzierten Gesellschaft wäre es an der Zeit gewesen, dass die Union das soziale Sicherungssystem stabil und zukunftssicher aufstellt. Doch die Rentenpolitik der Union blieb auf halbem Weg stehen, eine dringend notwendige unfassende Pflegeversicherung fehlt bis heute, und der Arbeitsmarkt steht vor der Herausforderung wachsender prekarisierter Beschäftigungsverhältnisse. Die Union schaffte es nicht, auf die wachsende soziale Unsicherheit und die Veränderungen im Arbeitsmarkt zu reagieren – eine Lücke, die heute das soziale Gefüge Deutschlands belastet.
Friedrich Merz: Ein Kritiker ohne Distanz zur Vergangenheit
Heute tritt Friedrich Merz als Kritiker der Ampel-Koalition auf und spricht von einer „Regierungskrise“ in Deutschland. Er wirft der Ampel-Koalition vor, Deutschland schlecht geführt zu haben und nutzt dabei eine Rhetorik, die den Eindruck erweckt, die Missstände seien ausschließlich das Ergebnis aktueller Fehlentscheidungen. Doch viele dieser Probleme haben ihre Ursachen in den langen Jahren der Union-geführten Regierung, die häufig vor strukturellen Reformen zurückschreckte und echte Transformation aufschob.
Die Lösungsvorschläge von Merz klingen wie ein Echo der alten Rezepte der Union: weniger Staat, mehr Markt, und das Versprechen, dass eine schlankere Verwaltung alle Probleme löse. Diese Politik der kleinen Schritte und konservativen Pragmatismus jedoch hat Deutschland in den Stillstand geführt, in dem es sich heute befindet.
Ein Land am Scheideweg: Aufräumen und Neuanfang
Deutschland steht vor einer Phase der Transformation, die entschlossenen Mut und eine klare Vision erfordert. Die Union hat in ihren vielen Jahren an der Macht wichtige Weichenstellungen verschlafen, und der Weg nach vorne verlangt nicht weniger als einen Paradigmenwechsel. Digitalisierung, Bildung, Klima und soziale Sicherheit – all diese Themen müssen mutig und umfassend angegangen werden, um den Wandel zu gestalten und Deutschland in eine innovative Zukunft zu führen.
Es bleibt die Frage, ob Deutschland die Fehler der Vergangenheit weiterhin mit sich trägt oder ob sie als Mahnung dienen, endlich entschlossen zu handeln.