Die Ankündigung von Friedrich Merz, im Fall seiner Kanzlerschaft die deutschen Grenzen dauerhaft zu kontrollieren und jeden Versuch illegaler Einreise zurückzuweisen, klingt nach klarer Kante. Doch was der CDU-Vorsitzende als Entschlossenheit verkaufen möchte, offenbart bei genauerem Hinsehen eine Ignoranz gegenüber rechtlichen und politischen Realitäten. Gleichzeitig bedient seine Forderung den weit verbreiteten, aber falschen Mythos, Angela Merkel habe 2015 die Grenzen geöffnet. Zeit, mit beidem aufzuräumen.
Der Rechtsrahmen – Schengen und die Grenzen der Souveränität
Merz’ Plan, die deutschen Grenzen dauerhaft zu kontrollieren, widerspricht den Grundpfeilern des Schengen-Abkommens. Seit 1995 gibt es innerhalb des Schengen-Raums keine ständigen Grenzkontrollen mehr. Dieses Prinzip des freien Personenverkehrs ist nicht nur eine Errungenschaft europäischer Integration, sondern auch eine rechtlich verankerte Verpflichtung. Zwar erlaubt der Schengener Grenzkodex vorübergehende Grenzkontrollen, doch nur bei einer „ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit“ und für begrenzte Zeit. Dauerhafte Kontrollen sind schlicht nicht vorgesehen.
Die von Merz geforderten pauschalen Zurückweisungen wären zudem mit dem EU-Asylrecht unvereinbar. Schutzsuchende haben das Recht auf ein faires Asylverfahren – unabhängig davon, ob sie auf einem sicheren Landweg nach Deutschland kommen. Die Dublin-III-Verordnung regelt zwar die Zuständigkeit für Asylverfahren, aber auch sie erlaubt keine pauschale Zurückweisung ohne Prüfung individueller Schutzbedarfe. Solche Maßnahmen wären ein klarer Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und das Prinzip des Non-Refoulement, das die Rückführung in unsichere Länder verbietet.
Politische Signalpolitik statt tragfähiger Lösungen
Was Merz vorschlägt, ist in der Praxis weder umsetzbar noch nachhaltig. Dauerhafte Grenzkontrollen würden nicht nur rechtliche Konflikte auslösen, sondern auch massive wirtschaftliche und logistische Probleme schaffen. Der freie Warenverkehr, auf dem Deutschlands Exportwirtschaft aufbaut, würde ebenso leiden wie die alltägliche Mobilität der Menschen in den Grenzregionen.
Die Forderung ist jedoch nicht zufällig gewählt. Merz spricht damit gezielt eine Wählerschaft an, die klare und schnelle Lösungen für die als „Flüchtlingskrise“ wahrgenommenen Herausforderungen sucht. Doch anstatt komplexe Probleme wie Fluchtursachen, Migrationsdruck und eine gerechtere Verteilung von Geflüchteten innerhalb der EU anzugehen, liefert er einfache, aber unhaltbare Antworten. Es ist Signalpolitik in Reinform – stark in der Rhetorik, schwach in der Substanz.
Der Mythos der „geöffneten Grenzen“
Mit der Forderung nach geschlossenen Grenzen knüpft Merz an ein Narrativ an, das seit 2015 von Kritikern der damaligen Bundesregierung wiederholt wurde: Angela Merkel habe die Grenzen geöffnet und damit die Kontrolle über die Migration verloren. Doch diese Darstellung ist historisch falsch.
Die Grenzen Deutschlands waren 2015 nicht „geöffnet“ worden – sie waren es bereits seit dem Beitritt Deutschlands zum Schengen-Raum. Das, was 2015 geschah, war keine Öffnung, sondern der Verzicht auf die vorübergehende Wiedereinführung von Grenzkontrollen. Merkel hat also nicht entschieden, etwas zu öffnen, sondern in einer humanitären Ausnahmesituation entschieden, etwas nicht zu schließen. Es war eine Reaktion auf eine Situation, in der Tausende Menschen bereits in Europa unterwegs waren, auf der Suche nach Schutz vor Krieg und Verfolgung. Die Entscheidung war rechtlich und moralisch begründet, nicht zuletzt durch die Genfer Flüchtlingskonvention und das Grundrecht auf Asyl.
Eine Grenze der Debatte
Die politische Debatte um Migration leidet seit Jahren unter vereinfachenden Mythen und falschen Dichotomien: offen oder geschlossen, Kontrolle oder Chaos. Doch Migration ist kein Schalter, der einfach umgelegt werden kann. Sie ist ein Phänomen, das globaler Kooperation, langfristiger Strategien und einer differenzierten Auseinandersetzung bedarf.
Friedrich Merz liefert keine Antworten auf diese Herausforderungen. Seine Forderung mag in der Rhetorik nach Stärke klingen, doch sie untergräbt die europäischen Errungenschaften, verletzt rechtliche Grundsätze und führt nicht zu tragfähigen Lösungen. Vielmehr trägt sie zur Spaltung der Gesellschaft bei, indem sie Ängste schürt und falsche Erwartungen weckt.
Am Ende bleibt die Frage: Wie viele Menschen glauben noch an diese Mythen – und wie viele verlangen endlich nach einer Politik, die ehrlich und faktenbasiert ist? Eine Politik, die nicht an Grenzen scheitert, sondern sie überwindet.
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