Wolodymyr Selenskyj eröffnete seine Rede in München mit einem düsteren Bild: In der Nacht vor der Sicherheitskonferenz hatte eine russische Drohne den Schutzmantel des havarierten Kernreaktors von Tschernobyl getroffen. Für Selenskyj war dieser Angriff mehr als nur eine militärische Provokation – er war eine Botschaft. „Ein Land, das solche Attacken startet, will keinen Frieden“, stellte der ukrainische Präsident unmissverständlich klar. Der Vorfall zeige, dass Russland nicht auf Verhandlungen hinarbeite, sondern weiterhin auf Eskalation setze.
In der Nacht vor der Münchner Sicherheitskonferenz traf eine russische Angriffsdrohne den Schutzmantel des zerstörten Reaktors von Tschernobyl.
Wolodymyr Selenskyj
Er warnte vor der wachsenden militärischen Mobilisierung Moskaus: Russland plane 150.000 neue Soldaten einzuberufen, Rekrutierungszentren würden jede Woche eröffnet. Zudem verdichteten sich Hinweise, dass russische Truppen unter dem Vorwand von Manövern erneut in Belarus stationiert werden könnten – eine potenzielle Bedrohung nicht nur für die Ukraine, sondern auch für die NATO-Staaten an der Ostflanke. „Vielleicht sind sie für uns, vielleicht für euch“, richtete er sich an das westliche Publikum. Seine Mahnung war eindeutig: Russland bereite sich nicht nur auf eine Fortsetzung des Krieges in der Ukraine vor, sondern teste auch die Reaktionsfähigkeit Europas.
Europas Sicherheit hängt von der Ukraine ab
Selenskyj stellte seine Kernthese klar: Die Sicherheit Europas wird in der Ukraine entschieden. Sollte Russland siegen, werde es nicht bei der Ukraine bleiben. Die verstärkte Präsenz nordkoreanischer Soldaten auf russischer Seite, hybride Attacken auf polnische und litauische Grenzen, Sabotageakte gegen europäische Infrastrukturen – all das seien Anzeichen dafür, dass der Kreml die Konfrontation ausweite. „Was, wenn es beim nächsten Mal keine Migranten sind, sondern Soldaten?“, fragte er mit Blick auf die russischen Grenzprovokationen in Belarus.
Er drängte darauf, dass Europa sich verteidigungspolitisch neu aufstellen müsse. Eine europäische Armee, einheitliche Verteidigungsstrukturen und eine gemeinsame Außenpolitik seien nicht länger nur Visionen, sondern Notwendigkeiten. „Europa braucht seine eigenen Streitkräfte“, forderte er – nicht als Ersatz für die NATO, sondern als eigenständigen Pfeiler innerhalb der Allianz. Er verwies auf die realen Erfolge, die die Ukraine bereits in der modernen Kriegsführung erzielt habe: „Wir sind führend in der Drohnenkriegsführung, unsere Erfahrung stärkt auch eure Sicherheit.“
Die Zukunft Europas: Einigkeit oder Schwäche?
Für Selenskyj steht fest: Europa muss seine Geschlossenheit beweisen. Russland spiele auf Zeit, hoffe auf Uneinigkeit im Westen und versuche, bilaterale Verhandlungen mit einzelnen Staaten zu führen, um die EU und die NATO zu spalten. „Putin will mit den USA allein verhandeln – genau wie vor dem Krieg“, warnte er.
Wir dürfen nicht ausschließen, dass Amerika zu Europa ‚Nein‘ sagt, wenn es um dessen eigene Bedrohungen geht.
Wolodymyr Selenskyj
Er mahnte, dass Europa nicht darauf warten dürfe, von Washington gerettet zu werden. „Wir können nicht ausschließen, dass die USA irgendwann ‚Nein‘ sagen.“ Daher müsse Europa die Führung übernehmen, mit einer Stimme sprechen und eine sicherheitspolitische Architektur schaffen, die nicht allein auf der amerikanischen Unterstützung basiere.
Selenskyjs Schlussplädoyer war eindringlich: „Entweder entscheidet Europa selbst über seine Zukunft, oder es wird von anderen entschieden.“ Die Münchner Sicherheitskonferenz sei der richtige Ort, um die Weichen zu stellen – für ein Europa, das nicht nur Verteidiger der Demokratie sei, sondern auch bereit, seine eigene Sicherheit zu garantieren.
Fotoquelle: MSC/Alexander Koerner