Die Menschheit steht heute vor einer tiefgreifenden Krise, die weit über den Klimawandel hinausgeht: der Verlust an Biodiversität. Während der Klimawandel mittlerweile weithin anerkannt und als Gefahr verstanden wird, bleibt die Bedrohung der Artenvielfalt für viele Menschen ein abstraktes Problem, das schwer zu fassen ist. Doch die beiden Phänomene sind eng miteinander verknüpft und beeinflussen sich wechselseitig. Prof. Dr. Josef Settele, Biologe und einer der weltweit führenden Experten für Biodiversität, leitet das Department Naturschutzforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und hat diesen Zusammenhang in zahlreichen internationalen Berichten und Studien dargelegt. Er fordert eine differenzierte Herangehensweise, um die Balance unserer Ökosysteme zu bewahren.
Die unterschätzte Rolle der Artenvielfalt
Artenvielfalt, oder Biodiversität, bedeutet weit mehr als nur die Anzahl verschiedener Tier- und Pflanzenarten. Es geht um genetische Vielfalt, um die Vielfalt der Lebensräume und darum, wie diese Komponenten zusammenwirken, um funktionierende Ökosysteme zu gewährleisten. Biodiversität ist so etwas wie die Versicherung der Natur: Je vielfältiger ein Ökosystem ist, desto stabiler ist es gegen äußere Einflüsse wie Klimawandel, Schädlinge oder Krankheiten. Der Verlust von Arten führt zu einer zunehmenden Homogenisierung der Umwelt – und genau das macht Ökosysteme anfälliger für Störungen.
„Eine gewisse Menge an Diversität ist einfach gut, um die Systeme resilient zu halten, also auch für die Zukunft zu sichern“, betont Settele. Der Zusammenbruch von Monokulturen, wie beispielsweise die großflächige Zerstörung der Fichtenbestände im Harz durch den Borkenkäfer, zeigt deutlich, dass ein Mangel an Artenvielfalt katastrophale Auswirkungen auf das gesamte System haben kann.
Die Triple-Krise: Artensterben, Klimawandel und Pandemien
Settele hat den Begriff der „Triple-Krise“ geprägt, um den engen Zusammenhang zwischen Artensterben, Klimawandel und der steigenden Gefahr von Pandemien zu beschreiben. „Der Klimawandel ist sicherlich eines der größten Risiken für die Biodiversität. Aber er ist nur einer von mehreren Faktoren, die das Artensterben befeuern“, erklärt Settele. Neben dem Klimawandel gehören die Veränderung der Landnutzung, die direkte Ausbeutung von Ressourcen, Umweltverschmutzung und die Ausbreitung invasiver Arten zu den Hauptursachen des Artensterbens.
Der Rückgang der Artenvielfalt ist oft schwer zu erkennen, aber die Folgen sind tiefgreifend und betreffen letztlich unsere gesamte Lebensgrundlage.
Prof. Dr. Josef Settele
Der Verlust von Arten findet nicht nur in abgelegenen Regenwäldern oder entlegenen Bergregionen statt. Auch in Deutschland ist er deutlich spürbar: Seit 2008 sind die Bestände von Tagfaltern in Deutschland um rund zehn Prozent zurückgegangen – eine dramatische Entwicklung in einem so kurzen Zeitraum. Diese Verluste betreffen nicht nur die Insekten selbst, sondern das gesamte Netzwerk von Arten, die aufeinander angewiesen sind. Ein Rückgang der Insekten führt unweigerlich zu einem Rückgang von Vögeln, die auf sie als Nahrungsquelle angewiesen sind.
Der Schlüssel zur Stabilität: Nachhaltige Landnutzung
Eine der größten Herausforderungen liegt in der Art und Weise, wie wir Land nutzen. Intensive Landwirtschaft, der Verlust von Grünland und die Ausbreitung von Monokulturen zerstören wertvolle Lebensräume und reduzieren die Biodiversität. „Eine Landwirtschaft, die nur Tiernahrung erzeugt, um dann die Rinder und Schweine zu füttern, die wir essen, ist bizarr im Sinne von Stoffkreisläufen und Energieflüssen“, kritisiert Settele. Die Lösung liegt für ihn in einer Landwirtschaft, die stärker auf Vielfalt und Nachhaltigkeit setzt. Mischwälder und extensive Weidewirtschaft seien dabei ebenso wichtige Bausteine wie ein integrierter Pflanzenschutz, der Chemikalien nur im äußersten Notfall einsetzt.
Hoffnung für die Zukunft: Was jetzt geschehen muss
Um die Biodiversität zu erhalten und den Klimawandel einzudämmen, müssen neue Wege beschritten werden. Dazu gehört, so Settele, dass auch die Politik die Rahmenbedingungen ändert. Subventionen, die derzeit auf eine intensive Landwirtschaft ausgerichtet sind, müssen umgelenkt werden, um nachhaltigere Praktiken zu fördern. Eine Neuausrichtung der Landwirtschaft sei notwendig, um die Qualität der erzeugten Lebensmittel zu verbessern und gleichzeitig die Umwelt zu schonen. Denn am Ende profitieren nicht nur die Natur und das Klima, sondern auch wir Menschen.
Josef Settele ist überzeugt, dass wir den Verlust der Biodiversität noch aufhalten können, wenn wir jetzt handeln. „Jede Abmilderung des Prozesses, der immer noch negativ ist, ist natürlich erst einmal günstig, weil es mehr Chancen lässt, dass wir irgendwann die Kurve kriegen“, so der Wissenschaftler. „Die Kunst besteht darin, die Zeit, die man nicht hat, sich zu nehmen“, fasst Settele die Herausforderung treffend zusammen.