Sinkende Schiffe und deutsche Arroganz

Seit mehr als 10 Jahren sprechen wir in Deutschland von der Digitalisierung, von großen Veränderungen, die auf uns zukommen werden, die unzählige Möglichkeiten und Risiken mit sich bringen. Während wir ständig von Transformation sprachen, zog der Rest der Welt an uns vorbei. Deutschland, einst Land der Dichter, Denker und Pioniere wurde zu einem Entwicklungsland, zu einer Nation, in der Bedenkenträger und Traditionalisten dafür sorgten, dass sich kaum etwas bewegte. Wir hätten an der Spitze einer technologischen Revolution stehen können, doch stattdessen reden wir heute noch von digitaler Transformation, von Breitbandausbau, von Grundlagenforschung und -schaffung. Wir rätseln, warum das nächste Google oder Facebook nicht aus Deutschland kommt und verstehen gar nicht, dass der Zug längst abgefahren ist und wir aufpassen sollten, dass der nächste nicht auch noch an uns vorbei in Richtung USA oder China donnert.

Wenn wir eine realistische Chance haben wollen, den Vorsprung aufzuholen, den China, Japan, Südkorea und die USA haben, müssten wir den Turbo einschalten, müssten aufhören zu diskutieren – müssten all das, was mit Digitalisierung zusammenhängt von jetzt auf gleich zur Selbstverständlichkeit werden lassen. Wir tun immer noch so, als wären Facebook, Google, Amazon und Co. neu, als müssten wir uns darauf erst einstellen, erst erforschen, was das mit Geschäftsmodellen macht – dafür ist es längst zu spät. Die großen Player im Westen und Osten sind längst zur essenziellen Infrastruktur, sind längst zu Strom und Wasser geworden.

Wir müssen endlich aufwachen, müssen endlich nach Vorne denken statt über „Trends“ zu sprechen, die längst mehr als ein Jahrzehnt alt sind. Was in den letzten zwei Jahrzehnten aus den USA kam, wird in den nächsten zehn Jahren in doppelter Geschwindigkeit und Schlagkraft aus Asien kommen. Wenn wir dann immer noch über Grundlagen sprechen statt darüber nachzudenken, wie die Zukunft aussehen könnte, sollten wir uns von einer deutschen Wirtschaftsmacht verabschieden, denn die wird es dann nicht mehr geben. Findet nicht bald ein Umdenken statt, können wir auf dem Deck der Titanic ein großes Abschiedskonzert spielen und zusehen, wie der Eisberg auf uns zukommt.

Gerade wir Deutschen glänzen immer noch mit einer unglaublichen Arroganz. Wir präsentieren uns als Industrienation, prahlen mit unserer Ingenieurskunst und spielen uns politisch ganz groß auf. In Wahrheit sollten wir uns in Demut und Selbstkritik üben, sollten dafür sorgen, dass sich das, was in den letzten zwei Jahrzehnten geschah, nie wieder wiederholen wird.

Wenn wir das Ruder herumreißen wollen, müssen wir zusammenarbeiten, müssen unser Wissen, unsere Technologien und Erfahrungen in einen Topf werfen. Wenn wir uns wieder auf Kurs bringen wollen, müssen wir endlich untereinander Synergien nutzen. Wir Deutsche neigen dazu, alles unter Verschluss zu halten und unser eigenes Ding zu machen. Diese Zeiten sind vorbei. Ein Unternehmen allein kann gegen die Marktmacht der großen internationalen Player nicht mehr ankämpfen. Das hätte vor fünf Jahren vielleicht noch funktioniert – jetzt nicht mehr.

Bildquelle: Maciej Bledowski / Shutterstock.com

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