New Work: Jetzt sind wir doch mal ehrlich!

Die schöne neue Arbeitswelt – vor allem in Corporates wird nach Außen gerne darüber gesprochen. Es soll jetzt alles anders sein, viel flexibler, offener, voll von gegenseitigem Vertrauen, voll von gegenseitiger Unterstützung und selbstbestimmter Arbeit. Was sich mit einem externen Blick immer großartig anhört, ist intern meist nur ein Ammenmärchen.

In Deutschland kann man folgende Faustregel fast immer anwenden: Je größer das Unternehmen, desto größer das New-Work-Marketing-Blabla und desto kleiner die tatsächliche Umsetzung.

Ja, auch große deutsche Unternehmen haben es in den vergangenen Jahren geschafft, Veränderungen vorzunehmen. Die als innovative Transformation in ein neues Zeitalter getarnten Programme zur Stellenstreichung haben vielerorts auch Hierarchieebenen begraben. Dadurch ist aber ein riesiges Problem entstanden: Diejenigen, die in der Vergangenheit nicht zur Wort kamen, müssen sich jetzt mit sehr viel höher angesiedelten Management-Ebenen beschäftigen und an diese reporten – schließlich ist die bisher filternde Zwischenebene weggebrochen. Und damit sind die meisten schlichtweg überfordert – es hat sie ja auch niemand darauf vorbereitet und die Angst vor dem Versagen und daraus entstehender Konsequenzen ist gerade hierzulande riesig.

Die besten Voraussetzungen für Micro-Management

Den Management-Ebenen wiederum kommt das neue Konstrukt sehr zu Gute. Sie bekommen jetzt alles direkt mit und können sich nun endlich in das von ihnen so sehr geliebte Micro-Management hineinsteigern. Sie beschäftigen sich neuerdings gerne mit jedem Teilaspekt eines Projektes, fällen Entscheidungen ohne Fachkenntnis und übergehen damit meist die Mitarbeiter an der Basis – schließlich haben sie ja das Gefühl, dass sie durch die gestrichenen Ebenen bereits mit der Basis sprechen, wenn sie sich zum Beispiel direkt mit dem Projektleiter austauschen.

Was bleibt dabei auf der Strecke? Nun ja. Am Ende des Tages meist all die guten Attribute von New Work, die den „normalen“ Mitarbeitern eigentlich helfen sollten. Die Ebene zwischen ihnen und dem Management tritt schonungslos nach unten und befindet sich im konstanten Überlebenskampf, der ohne Rücksicht auf Verluste ausgefochten wird. Schließlich hat man in den vergangenen Jahren ja gelernt, dass Fehler und Probleme auf der nun zugänglichen Management-Ebene gar nicht gerne gehört werden. Vertrauen, selbstbestimmtes Arbeiten, offener und ehrlicher Umgang miteinander – viel zu gefährlich, viel zu riskant.

Miteinander reden? Niemals.

Die Grundprinzipien zwischenmenschlicher Zusammenarbeit sind verloren gegangen. Die Angst vor dem Versagen ist so groß, dass im Problemfall nicht einmal mehr miteinander gesprochen wird. Lieber kickt man diejenigen Kollegen, mit denen man nicht klar kommt, aus einem Projekt. Kompromisse, Lösungen, vermittelnde Gespräche? Keine Zeit, keine Lust – geht ja anders viel einfacher und die Management-Ebene darüber trägt so etwas meist mit. Schließlich hat man dort ja eigentlich gar keine Zeit, um sich mit solchen lästigen Themen zu beschäftigen.

Die Situation ist verfahren.

Und das bringt eine dunkle Seite der New-Work-Bewegung hervor: Auf den Schultern ungeübter und auf solche Herausforderungen auch schlicht nicht vorbereitete Personen lastet nun die Verantwortung für Projekte, gleichzeitig aber auch diejenige der internen Politik, die keinesfalls weniger geworden und besonders herausfordernd ist. Die darüberliegende Management-Ebene nimmt darauf keinerlei Rücksicht und greift härter durch als je zuvor.

Das Absurde daran: Durch den direkten Umgang und das in die Projektleiter-, Chapter-Lead-, Team-Lead-Ebene (ganz gleich, wie man diese auch immer in den unterschiedlichsten Unternehmen nennen mag) gesetzte Vertrauen fühlt sich die Management-Ebene darüber überaus fortschrittlich und zu 100% im New-Work-Trend – dass die Arbeitsebene darunter aber heute vielerorts weiter davon entfernt ist als je zuvor, bekommt niemand mit.

Wir haben den Anstand verloren.

Die Kultur in den Unternehmen wird immer angespannter. Oft kann man sogar von einem Burnout einer gesamten Organisation, eines gesamten Unternehmens sprechen. Die Situation ist verfahren – und fern der Marketinggeschichten, die nach Außen getragen werden.

Anstand und Miteinander sind verloren gegangen – doch warum sollte das ausgerechnet in Unternehmen anders sein als in allen anderen Bereichen unserer immer anonymer und rücksichtsloser werdenden Gesellschaft?

Fotoquelle: Vladimir Mulder / Shutterstock.com

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