Auf dem 48forward Festival 2024 in der Alten Kongresshalle in München fand eine tiefgründige Diskussion über die Rolle der Resilienz in der heutigen Zeit statt. Daniel Fürg moderierte die Runde mit zwei herausragenden Experten: Dr. Pablo Hagemeyer, Psychiater, Psychotherapeut und Autor, und Prof. Dr. Dr. Michel Friedman, Rechtsanwalt, Philosoph, Autor und Moderator. Im Mittelpunkt stand die Frage, was Resilienz wirklich bedeutet und wie sie sich in unserer modernen Welt verändert.
Resilienz: Mehr als nur Widerstandskraft
Dr. Pablo Hagemeyer eröffnete die Diskussion mit einer wissenschaftlichen Definition von Resilienz. Ursprünglich aus der Materialkunde stammend, beschreibt Resilienz die Fähigkeit eines Materials, nach Verformung in seine ursprüngliche Form zurückzukehren. Übertragen auf die menschliche Psyche bedeutet Resilienz die Fähigkeit, trotz widriger Umstände zu bestehen und sich anzupassen. Diese Definition, so Hagemeyer, sei jedoch nicht eindeutig und verändere sich je nach Kontext.
Resilienz bedeutet auch, sich selbst Schwäche und Unwissenheit einzugestehen.
Dr. Pablo Hagemeyer
Prof. Dr. Dr. Michel Friedman kritisierte die gängige Verwendung des Begriffs als “Modewort” und warnte vor seiner missbräuchlichen Verwendung. Für ihn besteht die Gefahr, dass Resilienz als Anpassungsfähigkeit an ungerechte oder schädliche Bedingungen missverstanden wird. Dies könne zu einer passiven Haltung führen, in der Menschen Veränderungen hinnehmen, anstatt aktiv gegen Missstände vorzugehen.
Die Gefahren der Anpassung
Friedman betonte, dass Resilienz nicht mit opportunistischer Anpassung verwechselt werden dürfe. Er argumentierte, dass eine solche Anpassung zu einem Verlust der Selbstbestimmung führen könne. Anhand zahlreicher Beispiele aus Politik und Gesellschaft zeigte er, dass Anpassung oft als bequeme Lösung präsentiert werde, die jedoch langfristig schädlich sei.
Hagemeyer ergänzte, dass viele Menschen, insbesondere jene mit traumatischen Erfahrungen, in eine Art Schockstarre verfallen können. Diese “Schreckstarre” verhindere eine aktive Auseinandersetzung mit den Problemen und führe dazu, dass Resilienz fälschlicherweise als Fähigkeit, negative Emotionen zu unterdrücken, verstanden werde.
Echte Resilienz durch emotionale Offenheit
Ein zentrales Thema der Diskussion war die Frage, wie Menschen echte Resilienz entwickeln können. Beide Experten waren sich einig, dass dies durch eine bewusste Auseinandersetzung mit eigenen Emotionen und durch das Zulassen von Schwäche geschehe. Hagemeyer betonte, dass es wichtig sei, negative Gefühle auszuhalten und daraus zu lernen, anstatt sie zu unterdrücken.
Ich glaube, wir unterfordern uns zu sehr. In uns steckt viel mehr.
Prof. Dr. Dr. Michel Friedman
Friedman teilte persönliche Erfahrungen und hob hervor, dass Resilienz nicht linear verlaufe. Er beschrieb, wie er nach einem schweren persönlichen Zusammenbruch wieder ins Leben zurückfand und daraus lernte, dass Resilienz auch bedeuten könne, sich selbst Schwäche und Unwissenheit einzugestehen. Diese Fähigkeit zur Selbstreflexion und die Bereitschaft, sich den eigenen Ängsten zu stellen, seien zentrale Elemente echter Resilienz.
Resilienz als gesellschaftliche Aufgabe
Die Diskussion schloss mit der Erkenntnis, dass Resilienz nicht nur eine individuelle, sondern auch eine gesellschaftliche Aufgabe ist. Friedman betonte, dass wir uns als Gesellschaft mehr zutrauen sollten und die Fähigkeit zur Resilienz durch aktives Widersprechen und kritisches Denken stärken müssen. Hagemeyer ergänzte, dass echte Resilienz durch Empathie und Unterstützung in zwischenmenschlichen Beziehungen gefördert werde.
Fotoquelle: Meltem Salb