Reichstag in Berlin

Der schleichende Tod der Demokratie

Warum ein Rechtsruck in Deutschland nicht nur ein vorübergehendes Problem ist

In Deutschland stehen wir vor einer gefährlichen Zeitenwende. Die Bundestagswahl 2025 könnte für unser Land und unsere Demokratie weitreichende, ja sogar irreversible Konsequenzen haben. Wenn die AfD zur stärksten Kraft wird oder sogar in die Regierung einzieht, werden wir nicht Zeugen eines plötzlichen und dramatischen Umsturzes sein, wie manche vielleicht glauben. Es wird kein Big Bang geben, keinen Moment, in dem sich die Welt auf einmal radikal verändert. Stattdessen erleben wir etwas viel gefährlicheres: einen schleichenden Prozess der Erosion unserer demokratischen Werte, der unmerklich, aber konsequent, die Grundpfeiler unserer Gesellschaft untergräbt.

Es ist eine Entwicklung, die sich über Jahre hinweg aufgebaut hat. Schritt für Schritt wurden Tabus gebrochen, wurden Grenzen des Sagbaren verschoben, wurden Positionen der extremen Rechten zunehmend normalisiert. Was vor einem Jahrzehnt noch als unvorstellbar galt, ist heute alltäglich geworden: Hetze und Diskriminierung werden als legitime politische Standpunkte verkauft, demokratische Prinzipien infrage gestellt. Die Gesellschaft hat sich daran gewöhnt, still, fast schon apathisch, während die AfD immer weiter ihre Saat sät. Es ist die alte Metapher vom Frosch, der in einem langsam erhitzten Topf Wasser sitzt und die stetig steigende Temperatur so lange nicht bemerkt, bis es zu spät ist.

Doch was bedeutet das konkret? Was wird passieren, wenn die AfD stärkste Kraft wird? Nichts Spektakuläres – und genau das ist das Problem. Die Gefahr liegt in der Normalisierung, im Alltäglichwerden des Rechtsradikalen. Wir werden keinen großen Aufschrei erleben, keinen gesamtgesellschaftlichen Schock, der alle plötzlich aus ihrer Lethargie reißt. Stattdessen werden wir ein weiteres Abgleiten beobachten, so wie wir es in den letzten Jahren bereits getan haben. Die Partei wird sich weiter festigen, die etablierten Parteien, vor allem die Union, werden in ihrer Angst vor weiteren Stimmenverlusten den Schritt wagen, sich kommunikativ noch weiter an die AfD anzunähern. Dabei wird die Grenze zwischen rechtskonservativ und rechtsradikal immer unschärfer, bis sie letztlich fast verschwindet.

Diese Erosion der demokratischen Grundwerte ist das eigentliche Problem. Denn selbst wenn sich die politische Landschaft irgendwann wieder verschiebt, wenn eine neue Regierung gewählt wird und die AfD vielleicht aus der Regierungsverantwortung gedrängt wird – die Schäden, die bis dahin angerichtet wurden, werden nicht so einfach zu reparieren sein. Es wird viel Zeit, Kraft und gesellschaftlichen Zusammenhalt brauchen, um diese Wunden zu heilen. Wunden, die viel tiefer reichen als der Verlust von Wahlerfolgen: Es geht um das Vertrauen in die Demokratie selbst.

Wie konnte es soweit kommen? Sicherlich spielt die Schwäche der derzeit regierenden Parteien eine entscheidende Rolle. Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hat es nicht geschafft, ihre Politik verständlich und nachvollziehbar zu kommunizieren. Es ist nicht so, dass die Koalition keine Lösungen anbieten würde – sie ist einfach nicht in der Lage, diese Lösungen so zu vermitteln, dass sie in der Breite der Bevölkerung ankommen. Die Menschen fühlen sich abgehängt, unverstanden, und in dieses Kommunikationsvakuum stößt die AfD mit ihren simplen, scheinbar schlüssigen Parolen, die eine einfache Erklärung für komplexe Probleme bieten.

Die Antwort auf diese Entwicklung darf nicht nur darin bestehen, eine Brandmauer zur AfD zu errichten. Diese Brandmauer muss mit Leben gefüllt werden – mit klaren, differenzierten Positionen, die die Grenze zwischen rechtskonservativ und rechtsradikal aufzeigen. Es muss deutlich gemacht werden, dass man für eine konservative Politik stehen kann, ohne rechtsradikalen Tendenzen zu folgen. Dass man für eine geregelte Migration sein kann, ohne Menschenrechte zu missachten. Dass man für Sicherheit und Ordnung eintreten kann, ohne die Grundrechte zu opfern.

Und doch reicht das nicht aus. Die Verantwortung, unsere Demokratie zu verteidigen, darf nicht allein auf den Schultern der Politiker lasten. Die Wirtschaft, die Gesellschaft als Ganzes, müssen ihren Beitrag leisten. Unternehmen müssen verstehen, dass ihr Erfolg, ihr Wohlstand auf einem funktionierenden demokratischen System beruht. In dem Moment, in dem unsere Demokratie in Gefahr gerät, gerät auch die Grundlage ihres wirtschaftlichen Erfolgs ins Wanken. Deshalb müssen sie sich klar positionieren – nicht parteipolitisch, aber für demokratische Werte und Grundprinzipien. Das ist keine Frage von „sich politisch einmischen“, sondern von gesellschaftlicher Verantwortung.

Die Antwort auf einen drohenden Rechtsruck darf nicht erst dann kommen, wenn die AfD stärkste Kraft geworden ist. Dann ist es zu spät. Es geht darum, jetzt aktiv zu werden. Jetzt aufzustehen und klar zu sagen: Wir verteidigen die Demokratie, wir verteidigen das freie Wort, wir verteidigen die Werte, die uns Wohlstand und Stabilität gebracht haben. Ein gemeinsames Bekenntnis zu einer starken und lebendigen Demokratie muss von allen Akteuren kommen – von den Bürgern, den Unternehmen, der Politik.

Deutschland steht vor einer Entscheidung. Es ist keine Entscheidung, die sich an einem Wahltag entscheidet. Es ist eine Entscheidung, die wir alle jeden Tag treffen müssen: Lassen wir es zu, dass die Temperatur langsam steigt, bis wir uns an das Unvorstellbare gewöhnt haben? Oder brechen wir diesen gefährlichen Prozess hier und heute ab? Das ist kein Appell an die Parteien allein, sondern an uns alle. Denn die Demokratie ist kein Zustand, sie ist ein täglicher Kampf – und diesen Kampf dürfen wir nicht verlieren.

Total
0
Shares
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Prev
Mikael Nylund und Marc Fuchs: Wie digitalisieren wir die öffentliche Verwaltung?
Marc Fuchs und Mikael Nylund von Gofore

Mikael Nylund und Marc Fuchs: Wie digitalisieren wir die öffentliche Verwaltung?

Nordische Impulse für Deutschlands digitalen Aufbruch

Next
Sanna Suvanto-Harsaae: Wie führen wir durch die Krise?
Sanna Suvanto-Harsaae auf dem Nordic Business Forum

Sanna Suvanto-Harsaae: Wie führen wir durch die Krise?

Mit klarer Führung und Strategie gestärkt aus Krisen hervorgehen

Diese Beiträge könnten dir auch gefallen