Die CDU/CSU tritt mit einem ehrgeizigen Wahlprogramm an, das eine klare Botschaft vermittelt: Deutschland braucht einen Politikwechsel. Unter diesem Leitgedanken präsentiert die Union ein Programm, das Stabilität und Aufbruch miteinander verbinden soll. Doch wie realistisch sind die Pläne? Eine Analyse.
Wirtschaftspolitik: Zwischen Wachstumsimpulsen und Steuererleichterungen
Die Union möchte das wirtschaftspolitische Fundament Deutschlands stärken, indem sie den Standort wettbewerbsfähiger macht. Im Fokus stehen Steuererleichterungen, Bürokratieabbau und Investitionen in Zukunftstechnologien. Die Unternehmenssteuer soll auf maximal 25 Prozent gesenkt und der Solidaritätszuschlag endgültig abgeschafft werden. Der Begriff „Entrümpelungsgesetze“ wird zum Symbol für den angekündigten Bürokratieabbau.
Diese Ansätze sind weder neu noch besonders innovativ, doch sie adressieren ein zentrales Problem: die nachlassende Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands. Während andere Wirtschaftsnationen auf Geschwindigkeit und Flexibilität setzen, wird Deutschland oft als träge wahrgenommen. Ob jedoch die Absenkung der Steuerlast und ein vereinfachtes Abschreibungssystem ausreichen, um die wirtschaftliche Dynamik zu entfesseln, bleibt fraglich. Es fehlt an einer detaillierten Strategie, wie die angekündigten „Gründerschutzzonen“ oder die Förderung von Innovationen konkret umgesetzt werden sollen.
Ein kritischer Punkt ist die Rückkehr zu einer stärkeren Nutzung der Kernenergie. Die CDU/CSU will die Option, moderne Reaktoren zu entwickeln und sogar abgeschaltete Kernkraftwerke zu reaktivieren, offenhalten. Während dies einerseits als pragmatische Antwort auf die Energiekrise verstanden werden kann, bleibt die Frage, ob diese Position gesellschaftlich mehrheitsfähig ist.
Energie- und Klimapolitik: Marktwirtschaft gegen Planwirtschaft
Die CDU/CSU kritisiert scharf die Klimapolitik der aktuellen Regierung, die sie als „ideologiegetrieben“ bezeichnet. Ihr Gegenvorschlag setzt auf einen technologieoffenen Ansatz und die Marktwirtschaft als zentrale Steuerungsinstanz. Der Emissionshandel wird als Kerninstrument zur Reduzierung von Treibhausgasen definiert, ergänzt durch den Ausbau erneuerbarer Energien.
Doch hinter dieser marktwirtschaftlichen Fassade steckt eine klare Absage an ambitionierte staatliche Vorgaben. Das „Heizungsgesetz“ der Ampelregierung soll abgeschafft und durch technologieoffene Fördermodelle ersetzt werden. Die Union verspricht eine „verlässliche Dekarbonisierung“, ohne den Bürgerinnen und Bürgern konkrete Pflichten aufzuerlegen. Das mag populär klingen, birgt jedoch das Risiko, dass wichtige Klimaziele verzögert oder gar verfehlt werden.
Besonders kontrovers ist die erneute Öffnung für die Kernenergie. Forschung an neuen Technologien wie Small Modular Reactors und Fusionskraftwerken wird als zukunftsweisend dargestellt, doch die Debatte um Atommülllagerung und Sicherheitsrisiken bleibt weitgehend ausgespart.
Gesellschaftspolitik: Die „Fleißige Mitte“ im Fokus
Die Union positioniert sich als Anwältin der „hart arbeitenden Mitte“ und verspricht umfassende Entlastungen. Dazu zählen Steuererleichterungen für mittlere und niedrige Einkommen, eine höhere Pendlerpauschale und die Einführung einer steuerfreien „Aktivrente“ für Menschen, die über das gesetzliche Rentenalter hinaus arbeiten.
Interessant ist die Idee der Frühstart-Rente, bei der Jugendliche ab sechs Jahren staatlich gefördert in eine private Altersvorsorge einzahlen sollen. Dieser Vorschlag zeigt, wie stark die Union auf individuelle Vorsorge setzt, während sie die kollektiven Sicherungssysteme kaum reformieren will. Das „Bürgergeld“ soll abgeschafft und durch eine Neue Grundsicherung ersetzt werden, die das Prinzip „Fördern und Fordern“ betont.
Die Betonung von Eigenverantwortung zieht sich durch das gesamte Programm, wirft jedoch die Frage auf, wie sozial schwächere Gruppen in dieses Konzept integriert werden sollen. Kritiker könnten dies als Rückschritt in eine Zeit interpretieren, in der der Staat primär als Schiedsrichter agierte, weniger jedoch als Unterstützer.
Migration und innere Sicherheit: Harte Kante gegen offene Grenzen
In der Migrationspolitik nimmt die Union eine klare Haltung ein: Der Zuzug soll drastisch reduziert werden. Sie verspricht strikte Grenzkontrollen, schnellere Abschiebungen und die Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte. Sozialleistungen für Ausreisepflichtige sollen auf ein Minimum reduziert werden.
Diese Maßnahmen richten sich an eine Wählerschaft, die sich mehr Ordnung und Kontrolle wünscht. Doch sie könnten ebenso polarisieren. Während die CDU/CSU von einer „grundsätzlichen Wende“ spricht, erinnert der Tonfall an vergangene Debatten, die wenig zur Integration beigetragen haben.
Im Bereich der inneren Sicherheit setzt die Union auf härtere Strafen, mehr Überwachung und die Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung. Die Frage, ob diese Ansätze in einer digitalisierten Gesellschaft praktikabel und verhältnismäßig sind, bleibt unbeantwortet.
Europapolitik: Deutschland in Führung
In Europa will die CDU/CSU wieder eine führende Rolle übernehmen. Sie strebt eine engere Zusammenarbeit mit Frankreich und Polen an und setzt auf die Stärkung der transatlantischen Beziehungen. Der Aufbau eines europäischen Raketenabwehrsystems und die Schaffung eines Nationalen Sicherheitsrats im Kanzleramt zeigen, wie sehr die Union auf eine geopolitische Aufwertung Deutschlands setzt.
Ein Wahlprogramm zwischen Pragmatismus und Provokation
Die CDU/CSU präsentiert ein Programm, das eine breite Palette von Themen abdeckt – von Steuerpolitik über Migration bis hin zur Energieversorgung. Es ist ein Angebot an jene, die sich mehr Ordnung und Verlässlichkeit wünschen, zugleich aber skeptisch gegenüber staatlichen Eingriffen sind. Ob die Balance zwischen marktwirtschaftlichem Pragmatismus und konservativem Wertebewusstsein gelingt, wird letztlich an der Wahlurne entschieden.