Wenn eine Regierung noch auf Software aus den 1950er-Jahren setzt, liegt der Verdacht nahe, dass mit ihrer digitalen Transformation etwas grundlegend schiefgelaufen ist. In den USA gibt es noch immer Behörden, die auf Programmiersprachen wie COBOL oder RPG angewiesen sind – Sprachen, die so alt sind, dass Universitäten sie wieder lehren müssen, um den drohenden Fachkräftemangel in den Verwaltungen zu kompensieren. Deutschland hat zwar keine IT-Dinosaurier von diesem Kaliber im Einsatz, doch die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung kommt dennoch kaum voran. Während Estland oder Dänemark mit digitalen Behördengängen längst globales Vorbild sind, ringt man hierzulande mit einer föderalen Bürokratie, die jeden Fortschritt ausbremst.
Auf der South by Southwest (SXSW) 2025 in Austin wurde in der Panel-Diskussion „GovTech for Good: Tech as a Catalyst for Better Government“ darüber gesprochen, wie Regierungen Technologie gezielt nutzen können, um effizienter und zugänglicher zu werden – und warum es oft nicht gelingt. Die Antworten offenbarten strukturelle Defizite, politische Trägheit und eine tief sitzende Skepsis gegenüber der Digitalisierung des Staates.
Ein politisches Problem, kein technisches
„Das Hauptproblem ist nicht die Technik, sondern der politische Wille“, sagt Antonia Zierer, Managing Director der bayerischen Digitalagentur byte. Ihre Einschätzung: Die Digitalisierung der Verwaltung sei für Politiker schlicht unattraktiv. „Für eine Politikerin oder einen Politiker ist das nicht sexy. Es ist herausfordernd, langwierig und oft nicht innerhalb einer Legislaturperiode umsetzbar. Man kann es nicht gut verkaufen.“
Ähnlich sieht es Jason Kozel, Enterprise & Strategic Solutions Architect bei Crowdbotics, der regelmäßig mit US-Behörden arbeitet. „Ich kann nicht zählen, wie oft mir Regierungsmitarbeiter sagen, dass sie auf Systemen arbeiten, die vor 40 Jahren installiert wurden.“ Das Problem: Ein radikaler Austausch dieser Systeme wäre zu teuer, doch mit kleinen Updates lassen sich grundlegende Probleme nicht lösen. „In den USA gibt es Behörden, die immer noch mit RPG-Programmiersprachen arbeiten, die in den 1950ern entwickelt wurden“, erklärt Kozel. „Das Hauptproblem ist: Die Behörden wissen, dass sie modernisieren müssen, aber sie haben schlicht nicht das Budget dafür.“
Ein weiteres Hemmnis ist der oft tief verwurzelte Widerstand gegen Veränderungen innerhalb der Verwaltungen selbst. In Deutschland, wie in vielen anderen Ländern, sind Beamte unkündbar, was die Motivation für tiefgreifende Reformen nicht unbedingt steigert. Gleichzeitig sind öffentliche Verwaltungen traditionell von Juristen dominiert – technisches Know-how ist Mangelware. „Wir brauchen mehr Ingenieure und Datenwissenschaftler in den Behörden“, fordert Zierer. „Solange die IT-Expertise primär in externen Beratungsfirmen oder Start-ups sitzt, bleibt die Modernisierung Stückwerk.“
Was Estland kann, ist für Deutschland kaum machbar
Oft wird Estland als Vorzeigemodell für digitale Verwaltung genannt. Doch der Vergleich hinkt. „Estland hatte gar keine andere Wahl, als sich digital aufzustellen“, meint Kozel. „Nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion stand das Land wirtschaftlich und infrastrukturell unter enormem Druck – und entschied sich für eine radikale Digitalstrategie.“ Deutschland hingegen hatte über Jahrzehnte ein gut funktionierendes analoges Verwaltungssystem, was die Notwendigkeit zur Innovation lange hinauszögerte. „Das ist das Innovator’s Dilemma: Wenn etwas gut läuft, gibt es keinen Anreiz, es zu ändern“, so Zierer.
Zudem sind föderale Systeme wie in Deutschland oder den USA schwerfälliger als zentral organisierte Staaten. In Deutschland entscheiden 16 Bundesländer und unzählige Kommunen über ihre Digitalisierungsstrategie – ein Flickenteppich mit unzähligen Schnittstellenproblemen. „Wir brauchen eine tiefgehende Reform des Grundgesetzes, um das zu ändern“, so Zierer. Doch wer wagt sich an eine Verfassungsänderung heran, nur um Online-Behördengänge zu erleichtern?
Vertrauen als entscheidender Faktor
Neben den strukturellen Herausforderungen gibt es eine noch größere Hürde: das Vertrauen der Bürger. Deutschland hat aufgrund seiner Geschichte eine besonders kritische Haltung zur Datensammlung durch den Staat. „Wir haben gesehen, was passieren kann, wenn Regierungen Daten missbrauchen – sei es im Dritten Reich oder in der DDR“, betont Moderator Daniel Fürg. Der Unterschied zu Ländern wie Finnland sei eklatant: Dort sähen Bürger den Staat als Teil von „uns“, während in Deutschland eine größere Distanz zur Regierung bestehe. „Wir müssen daran arbeiten, Vertrauen in digitale Verwaltungsprozesse aufzubauen, sonst wird das nie funktionieren“, so Zierer.
Ein weiteres Problem: Selbst wenn digitale Dienste angeboten werden, werden sie oft nicht genutzt. „Ich habe einen deutschen Personalausweis mit digitalen Funktionen, aber ich habe keine Ahnung, wie mein Passwort dafür lautet“, sagt Fürg. Damit steht er nicht allein. Viele digitale Verwaltungslösungen scheitern nicht an der Technik, sondern an der mangelnden Nutzerfreundlichkeit und einem komplizierten Zugang.
Wo liegt der Ausweg?
Ein Ansatz könnte sein, kleine, agile Projekte auf lokaler Ebene zu starten – beispielsweise in Stadtstaaten wie Berlin oder Hamburg. „Wir könnten dort digitale Vorreiterregionen schaffen“, schlägt Fürg vor. Doch auch hier bleibt das Problem, dass erfolgreiche Pilotprojekte oft nicht skalierbar sind, weil sie auf eine spezifische Verwaltungsstruktur zugeschnitten wurden.
Ein weiteres Modell könnte die engere Zusammenarbeit mit Start-ups sein, um Innovationen schneller zu testen und umzusetzen. Doch auch hier gibt es Hürden. „Start-ups sind oft zu klein, um große staatliche Projekte langfristig zu betreuen“, warnt Zierer. Zudem droht die Gefahr, dass Daten, die in der öffentlichen Verwaltung gesammelt werden, durch Unternehmensübernahmen in private Hände geraten. Chelsea McCullough, Gründerin von Digi.City, sieht das kritisch: „Wenn eine kleine Firma mit öffentlichen Daten arbeitet und dann übernommen wird, geht diese Kontrolle oft verloren. Wir müssen uns fragen: Wem gehören die Daten wirklich?“
Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass Technologie alleine keine Lösung ist. Solange Politik und Verwaltung keinen echten Willen zur Reform zeigen, bleibt der digitale Staat ein Idealbild – mit realem Rückstand.