Alexandra Wudel

Alexandra Wudel: Warum sollte Künstliche Intelligenz feministisch sein?

Gleichberechtigung codieren

Die Entwicklung künstlicher Intelligenz ist ein technisches Unterfangen – und ein gesellschaftliches. Denn KI, so mächtig ihre Algorithmen auch sind, bleibt ein Spiegel ihrer Entwickler. Sie lernt von Daten, die längst nicht neutral sind. Sie trifft Entscheidungen, die auf bestehenden Ungleichheiten beruhen. Sie übernimmt Bias – unbewusst, automatisiert, systematisch. Und damit beginnt ein Dilemma, das nicht nur technologisch, sondern ethisch ist: Wer kontrolliert, was Maschinen lernen? Wer sorgt dafür, dass Diskriminierung nicht zum Standardprogramm wird?

„Feministische KI“, sagt Alexandra Wudel, „ist kein statischer Begriff.“ Die Gründerin von FemAI, einer europäischen Initiative für gerechte Technologieentwicklung, sieht darin einen methodischen Ansatz: Es geht nicht um Ideologie, sondern um Verantwortung. Feministische KI orientiert sich an Werten wie Gleichberechtigung, Gerechtigkeit und Freiheit – und versteht sich als Prozess. Einer, der sich ständig hinterfragt und weiterentwickelt. Und einer, der sich nicht damit begnügt, vorhandene Systeme zu optimieren, sondern neue zu entwerfen.

Was Maschinen nicht sehen

Denn die derzeitigen Systeme, das zeigen zahlreiche Studien, benachteiligen nicht nur Frauen, sondern ganze Bevölkerungsgruppen. In der medizinischen Forschung etwa fehlen Daten von People of Color – mit lebensbedrohlichen Folgen. In der Bilderkennung versagen Algorithmen, wenn sie Gesichter nicht-weißer Menschen erkennen sollen. Und in der Personalgewinnung bevorzugen KI-Systeme Bewerber, die den tradierten Mustern vergangener Erfolge entsprechen: männlich, weiß, techniknah. „Es ist ein strukturelles Problem“, sagt Wudel. „Und wir müssen raus aus dieser Ohnmacht, die viele gerade spüren.“

Doch wie gelingt das? Die Antwort ist komplex – und sie lautet nicht entweder/oder. „Warum nicht beides?“, fragt Wudel. Einerseits müssen neue Systeme her, die von Anfang an auf Diversität und Fairness ausgerichtet sind. Andererseits darf man bestehende Anwendungen nicht sich selbst überlassen. FemAI verfolgt einen doppelten Ansatz: Tools zur Deepfake-Erkennung, faire KI im Recruiting, diskriminierungsfreie Diagnoseverfahren in der Medizin. Es geht um konkrete Anwendungsfälle, messbare Fortschritte – und um politische Wirksamkeit.

Mehr Wirkung, weniger Etikett

Dabei ist der Begriff „feministisch“ nicht immer hilfreich. Zu oft wird er als Kampfansage verstanden, nicht als Einladung. Wudel weiß das. „Mir geht es nicht darum, ein feministisches T-Shirt zu tragen“, sagt sie. „Ich will, dass die Werte ankommen.“ Deshalb weicht FemAI in der Kommunikation zunehmend vom Label ab – ohne die Idee dahinter aufzugeben. Der strategische Fokus liegt auf Wirkung, nicht auf Symbolik.

Diskriminierung in KI sichtbar zu machen, ist einer der ersten Schritte, um sie zu verändern.

Alexandra Wudel

Gleichzeitig ist klar: Ohne politische Rahmenbedingungen wird es nicht gehen. Der EU AI Act, Europas Versuch einer grundlegenden KI-Regulierung, enthält in Artikel 4 erstmals ein Bekenntnis zur KI-Bildung. „Das ist ein Anfang“, sagt Wudel. Doch der Weg ist weit. Noch dominiert der Markt. Die großen Modelle kommen aus den USA oder China. Ihre Geschäftsmodelle sind profitorientiert. Die gesellschaftliche Verantwortung – ein Randaspekt. Ein globales Regelwerk? Bisher nur Wunschdenken. „Wir müssen uns zuerst über unsere eigenen Werte klar werden“, sagt Wudel. „Dann können wir auch global verhandeln.“

Von der Kritik zur Handlung

Trotz allem ist sie optimistisch. Nicht naiv, sondern entschlossen. Denn es gibt sie: die guten KI-Lösungen. Die, die Brustkrebsfrüherkennung günstiger und treffsicherer machen. Die, die Sprache inklusiver gestalten. Die, die diskriminierungsfreie Datensätze bauen. „Aber niemand spricht darüber“, sagt sie. „Stattdessen geht es mal wieder um Elon Musk.“ FemAI will das ändern – durch Zertifizierungen, Sichtbarkeit, Anreize. „Die Welt braucht keinen erhobenen Zeigefinger mehr. Sie braucht Menschen, die das Gute fördern.“

Fotoquelle: FemAI

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