Was wird die Zukunft bringen? Es ist eine Frage, die Menschen seit jeher beschäftigt – und zugleich eine, die mehr lähmt als beflügelt. Wer sich zu lange mit Prognosen aufhält, verliert nicht selten die eigene Handlungsfähigkeit aus dem Blick. Dabei liegt die eigentliche Herausforderung genau dort: nicht vorherzusehen, sondern zu gestalten.
Frederik G. Pferdt, langjähriger Chief Innovation Evangelist bei Google und Autor des Buchs „Radikal besser“, geht einen anderen Weg. Ihn treibt nicht die Angst vor dem Kommenden an, sondern die Überzeugung, dass jeder Mensch ein Gestalter der Zukunft sein kann – wenn er sich erlaubt, anders zu denken. „Die Zukunft gehört denen, die Möglichkeiten sehen – nicht nur Probleme“, sagt er. Eine Haltung, die nicht angeboren sei, sondern erlernbar. Wie ein Muskel, der trainiert werden muss.
Doch der gesellschaftliche Reflex ist häufig ein anderer. Veränderungen werden als Bedrohung wahrgenommen. Und selbst wenn sie sich am Horizont bereits deutlich abzeichnen, bleiben viele lieber reglos in der Komfortzone sitzen – bis das sprichwörtliche Feuer zu nah kommt. Wie damals in den kalifornischen Santa Cruz Mountains, als Pferdt mit seiner Familie vor einem herannahenden Waldbrand fliehen musste. Die existenzielle Erfahrung wurde zum Wendepunkt: „Ich konnte das Feuer nicht aufhalten – aber ich konnte entscheiden, wie ich darauf reagiere.“
Veränderung lässt sich oft nicht beeinflussen. Aber wir können entscheiden, wie wir darauf reagieren.
Frederik G. Pferdt
Sprache als Werkzeug der Hoffnung
Es sind oft kleine Verschiebungen, die große Wirkung entfalten. Pferdt plädiert für ein neues Bewusstsein im Umgang mit Sprache: Statt „Ich muss noch dieses Projekt abschließen“, lieber: „Ich darf an diesem Projekt arbeiten.“ Die Wortwahl verändert die Perspektive – und mit ihr die innere Haltung. Aus Pflicht wird Möglichkeit. Aus Last ein Spielraum. Es ist ein Plädoyer für eine Sprache, die nicht nur beschreibt, sondern gestaltet. „Worte formen Haltungen. Und Haltungen formen Zukunft.“
Besonders in einer Zeit, in der Technologien wie Künstliche Intelligenz Ängste schüren, ist dieser Perspektivwechsel essenziell. Statt KI als Jobkiller zu dämonisieren, ließe sich fragen: Welche menschlichen Tätigkeiten können dadurch aufgewertet werden? Welche kreativen Freiräume entstehen? Zukunft, so Pferdt, müsse nicht weniger menschlich sein – sie könne mehr davon sein, wenn man sie bewusst formt.
Und das beginnt oft im Kleinen: mit der Art, wie wir unseren Morgen gestalten. Mit welchen Gedanken wir aufwachen. Mit welchen Routinen wir bereit sind, zu brechen. Denn wer morgens schon offen ist für Neues – sei es durch einen Spaziergang barfuß im Park oder durch das Weglassen des ersten Kaffees – ist auch später am Tag empfänglicher für ungewöhnliche Ideen. „Es geht darum, sich selbst immer wieder zu überraschen“, sagt Pferdt.
Rituale für den Wandel
Auch Organisationen täten gut daran, diesen Geist zu kultivieren. In seiner Arbeit mit Unternehmen von der NASA bis zur NBA hat Pferdt immer wieder erlebt: Innovation ist keine Frage des Budgets, sondern der Kultur. Es geht um Räume, in denen Fehler möglich sind – und in denen Abschied von Ideen nicht als Scheitern gilt, sondern als Fortschritt.
Beim DFB führte Pferdt einst das Ritual des „Eigentors“ ein: Mitarbeitende, die einen Fehler gemacht hatten, konnten ihn freiwillig mit einem kurzen Lernmoment per E-Mail an das Team kommunizieren. Nicht, um sich bloßzustellen – sondern um Offenheit und Vertrauen zu fördern. Bei Google X wurden gescheiterte Ideen sogar symbolisch zu Grabe getragen – mitsamt Sarg und Feuerschale. „Nur wer loslässt, wird wieder frei für Neues“, sagt Pferdt.
Diese Rituale sind keine Spielerei. Sie sind Ausdruck einer Haltung: dass Zukunft nicht durch Kontrolle entsteht, sondern durch Mut zur Unsicherheit. Wer den Möglichkeitsraum betritt, braucht keine Garantie – aber Neugier. Und vielleicht die Bereitschaft, morgens vor dem Spiegel ehrlich zu sich selbst zu sein, wie es Schauspieler Hans Sigl einmal beschrieb. Nackt. Ohne Rollen. Nur mit der einen Frage: Was weiß ich längst – und traue mich nicht, auszusprechen?
Zukunft beginnt in dir
Vielleicht ist es genau das, was heute fehlt: weniger Angst, etwas falsch zu machen – und mehr Lust, etwas richtig zu beginnen. Die Zukunft wird nicht besser, weil wir sie voraussagen, sondern weil wir uns trauen, sie zu denken. Und dann zu leben.
Wer Frederik G. Pferdt zuhört, spürt diesen Geist – einen Zukunftsgeist, der nicht aus Technologie geboren ist, sondern aus Haltung. Aus Fragen wie: Was darf ich heute anders sehen? Wozu kann ich heute Ja sagen? Wen kann ich heute überraschen?