Chris Voss auf dem Nordic Business Forum

Die Kunst des Verhandelns: Chris Voss und die Macht des „Nein“

Wie ein FBI-Verhandler mit der Kraft des „Nein“ Vertrauen aufbaut

Wenn Menschen nur noch die Kontrolle über ihr Leben behalten wollen, wenn sie Angst haben, der nächste Fehler könnte ihr letzter sein, dann rufen sie Chris Voss. Der ehemalige Chef-Verhandlungsführer des FBI rettete Leben, indem er den Terroristen und Geiselnehmern der Welt zuhörte – und sie verstehen lernte. Seine Lehre: Verhandlungen haben nichts mit Zugeständnissen zu tun, sondern mit einem einzigen Gefühl: Sicherheit.

Menschen reagieren auf das Wort ‚Ja‘ mit Misstrauen, weil sie das Gefühl haben, in eine Falle gelockt zu werden. Das ‚Nein‘ gibt ihnen hingegen Sicherheit und Kontrolle.

Chris Voss

Es ist ein ungewöhnlicher Einstieg für einen Verhandlungsexperten: „Euer Gehirn kann nicht unterscheiden, ob ihr von einem Säbelzahntiger verfolgt werdet oder von einem wütenden Ehepartner angeschrien werdet“, erklärt Chris Voss seinem Publikum auf dem Nordic Business Forum in Helsinki. Aber genau darum geht es, wenn er über Verhandlungen spricht. Er sei in den gefährlichsten Krisensituationen der Welt nie mit Fakten oder Argumenten vorangekommen. Stattdessen verließ er sich auf die Kraft des Zuhörens, des „aktiven Einfühlens“. Was einfach klingt, ist in Wahrheit eine Kunst.

Denn wo bei vielen Menschen in Verhandlungen das Adrenalin die Oberhand gewinnt, dort zeigt Voss, dass der Schlüssel zu jeder erfolgreichen Verhandlung die Fähigkeit ist, dem Gegenüber die Kontrolle zu geben. „Menschen reagieren in bedrohlichen Situationen nur auf ein Wort positiv – und das ist das Wort ‚Nein‘“, erklärt er. Denn es ist genau das Gegenteil von dem, was die meisten Verkaufstrainer predigen. Voss blickt in den Saal: „Jeder von Ihnen hat schon mal den Trick mit dem dreimaligen ‚Ja‘ erlebt, oder?“ Einige Zuhörer nicken zögerlich. Er fährt fort: „Wenn ich Ihnen also die Frage stelle: ‚Wollen Sie Erfolg? Wollen Sie glücklich sein?‘, dann wissen Sie, dass ich auf etwas hinauswill, das Sie letztlich zustimmen lassen soll. Und das fühlt sich an wie eine Falle.“

Ein „Nein“ schafft Sicherheit

Voss’ Methode dreht diesen Ansatz auf den Kopf: Anstatt Zustimmung zu suchen, gibt er seinem Gegenüber die Freiheit, „Nein“ zu sagen. „Wenn ich jemanden bitte, zu einer Vorlesung zu kommen, frage ich nicht: ‚Wollen Sie teilnehmen?‘, sondern ‚Wäre es eine verrückte Idee, wenn Sie zu meiner Vorlesung kommen?‘“, erläutert er. Was wie eine Nebensächlichkeit wirkt, bewirkt eine komplette Verschiebung der Dynamik. „Nein“ gibt Menschen das Gefühl, dass sie die Kontrolle behalten, dass sie sicher sind und ihre Interessen gewahrt werden.

Ein Beispiel aus Voss’ Verhandlungsalltag illustriert dies eindrucksvoll. Ein Geiselnehmer, der glaubte, eine politische Botschaft vermitteln zu müssen, verlangte zehn Millionen Dollar für die Freilassung eines Mannes. Der Terrorist erklärte dies als „Kompensation“ für „Jahrhunderte der kolonialen Unterdrückung“. Alle Versuche, ihn mit Argumenten oder Druck zum Einlenken zu bewegen, schlugen fehl. Erst als Voss und sein Team den Mann dazu brachten, ein klares „Nein“ auszusprechen – indem sie ihm das Gefühl gaben, seine Position zu verstehen –, zerbrach die Forderung. „Nach Monaten der festgefahrenen Verhandlungen war die Summe plötzlich vom Tisch. Der Geiselnehmer hatte nicht das Gefühl, eine Niederlage erlitten zu haben, sondern verstand uns als Gesprächspartner“, erinnert sich Voss.

Empathie, ohne zuzustimmen

„Es geht nicht darum, dem anderen zuzustimmen, sondern darum, ihm zu zeigen, dass er verstanden wurde“, betont Voss, der seit seinem Rücktritt aus dem FBI Unternehmen und Führungskräfte weltweit berät. Seine Methode nennt er „Tactical Empathy“ – taktische Empathie. Ein Begriff, der im ersten Moment widersprüchlich klingt, aber in Voss’ Kontext hochwirksam ist: „Selbst wenn ich nie im Leben für einen Terroristen Partei ergreifen würde, muss ich sein Weltbild verstehen und es ihm vermitteln, damit er sich gehört fühlt.“

Taktische Empathie bedeutet, dem anderen zuzuhören, ohne zu bewerten, und ihm die Möglichkeit zu geben, sich verstanden zu fühlen – selbst wenn man grundlegend anderer Meinung ist.

Chris Voss

Voss schildert eine weitere Anekdote: „Wir haben auf der Social-Media-Plattform Clubhouse eine Diskussion zu Israel und Palästina organisiert. Beide Seiten sollten ihre Sicht darstellen, aber mit einer Regel: Bevor sie widersprechen, mussten sie sagen: ‚Bevor ich widerspreche, möchte ich zusammenfassen, was ich glaube, dass du sagst.‘ Was geschah? Es gab keine Streitereien. Die Menschen fühlten sich plötzlich nicht mehr angegriffen, sondern verstanden.“

Vom „Handshake“ zum „High Five“

Verhandlungen, so Voss, sollten nie mit einem bloßen Händedruck enden, sondern mit einem „High Five“ – einem Gefühl des echten Einverständnisses. „Wenn ihr es schafft, dass euer Gegenüber ‚That’s right‘ sagt, habt ihr gewonnen“, erklärt er. Dieses „Genau, das stimmt“ sei viel mehr wert als ein „Ja“, weil es nicht bloß Zustimmung bedeutet, sondern die Bestätigung, dass jemand sich wahrgenommen und verstanden fühlt.

Am Ende seines Vortrags spricht Voss eine Herausforderung aus: „Wenn ihr heute nach Hause geht, versucht einmal, ein Gespräch nicht mit einem ‚Ja‘, sondern mit einem ‚Nein‘ zu beginnen. Fragt: ‚Ist es ein schlechter Zeitpunkt, um kurz zu reden?‘, statt ‚Haben Sie gerade ein paar Minuten?‘. Ihr werdet sehen, wie sich die Haltung eures Gegenübers verändert.“

Was Voss damit bewirkt, ist, Menschen zu entwaffnen. Das „Nein“ befreit, es schützt, es gibt Sicherheit. So schafft er in den angespanntesten Situationen Räume für Verhandlungen, die keine rationalen Argumente je eröffnen könnten. In einer Welt, in der Worte oft als Waffen eingesetzt werden, ist es die leise Kunst des Verstehens, die Menschen wirklich zusammenbringt.

Fotoquelle: Sami Tuoriniemi und Toivo Laiho / Nordic Business Forum

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