Friedrich Merz

Die Staatsbürgerschaft ist kein Spielball für Wahlkampfmanöver

Friedrich Merz sollte sich von Populismus fern halten

Friedrich Merz, der Kanzlerkandidat der Union, möchte die deutsche Staatsbürgerschaft neu definieren – nicht als unveräußerliches Recht, sondern als widerrufbare Gnade. Seine Forderung, straffällig gewordenen Doppelstaatlern die deutsche Staatsangehörigkeit zu entziehen, klingt wie eine einfache Lösung für komplexe Probleme. Doch in Wahrheit ist sie verfassungswidrig, gesellschaftlich spaltend und historisch unverantwortlich. Sie ist das Gegenteil dessen, was ein Kanzlerkandidat einer großen Volkspartei in einem demokratischen Rechtsstaat vertreten sollte.

Ein Angriff auf die Werte der Verfassung

Artikel 16 des Grundgesetzes ist eine der Lehren, die Deutschland aus seiner düsteren Geschichte gezogen hat. Die deutsche Staatsbürgerschaft darf niemandem entzogen werden – das ist eine der grundlegenden Sicherungen gegen willkürliche Macht und gegen eine Politik, die Menschen entrechtet, weil sie nicht ins Bild passen. Dieses Verbot ist nicht nur ein juristischer Satz, sondern ein ethisches Fundament unserer Verfassung. Es ist eine direkte Antwort auf die Ausbürgerungspolitik der NS-Diktatur, die politische Gegner und Juden rechtlos machte, sowie auf die Praxis der DDR, unliebsame Bürger wie den Liedermacher Wolf Biermann in die Staatenlosigkeit zu drängen.

Merz’ Vorschlag, Doppelstaatlern bei Straffälligkeit die deutsche Staatsbürgerschaft zu entziehen, ist ein Angriff auf dieses Fundament. Seine Forderung unterscheidet zwischen Deutschen mit und ohne Migrationsgeschichte – und degradiert Erstere zu Bürgern zweiter Klasse. Wer zwei Pässe besitzt, müsste sich künftig fürchten, bei jedem Fehltritt das Vertrauen des Staates zu verlieren. Ein solches Zwei-Klassen-System ist nicht nur unvereinbar mit dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes, es ist ein Rückschritt in eine Zeit, in der Herkunft über Rechte entschied.

Die historische Verantwortung

Dass Merz dies ausgerechnet in einem Wahlkampf thematisiert, ist nicht nur ein politisches Kalkül, sondern eine gefährliche Missachtung der historischen Verantwortung Deutschlands. Die Staatsbürgerschaft war in der Vergangenheit allzu oft ein Instrument der Ausgrenzung. Die Nazis entzogen Millionen Menschen ihre Staatsangehörigkeit, um sie zu entrechten und zu verfolgen. Dass das Grundgesetz nach 1949 die Unentziehbarkeit der Staatsbürgerschaft festschrieb, war kein Zufall, sondern eine bewusste Lehre aus dieser Barbarei.

Auch die Doppelstaatsbürgerschaft, die Merz in Frage stellt, ist längst ein integraler Bestandteil eines modernen Deutschlands. Sie spiegelt die Realität eines Einwanderungslandes wider, in dem viele Menschen ihre Identität nicht in einem einzigen Pass zusammenfassen können. Integration bedeutet, dass Menschen ihren Platz in der Gesellschaft finden, ohne ihre Wurzeln kappen zu müssen. Merz aber setzt auf ein altmodisches Assimilationsverständnis, das nicht nur realitätsfern, sondern integrationshemmend ist.

Juristische Nebelkerzen

Auch rechtlich ist Merz’ Vorschlag unhaltbar. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehreren Urteilen klargestellt, dass der Verlust der Staatsbürgerschaft nur unter strengsten Bedingungen möglich ist. Die Teilnahme an ausländischen Kampfhandlungen für Terrororganisationen, wie sie seit 2019 im Staatsangehörigkeitsgesetz geregelt ist, gehört dazu – Straftaten hingegen nicht. Kriminalität ist kein Ausdruck einer „Abwendung“ von Deutschland, wie es das Verfassungsgericht verlangt. Die Forderung von Merz, Täuschungen über die eigene „kriminelle Veranlagung“ bei der Einbürgerung zu ahnden, ist nicht nur rechtlich absurd, sondern moralisch anmaßend.

Hinzu kommt, dass eine solche Reform nicht nur eine einfache Gesetzesänderung, sondern eine Verfassungsänderung erfordern würde – inklusive einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat. Eine solche Mehrheit ist angesichts der Ablehnung durch SPD, Grüne und FDP illusorisch. Merz weiß das. Seine Forderung ist damit nichts anderes als ein politisches Manöver, um sich rechts von der Mitte zu profilieren.

Gesellschaftlicher Sprengstoff

Die Rhetorik von Friedrich Merz ist nicht nur rechtlich und historisch fragwürdig, sie ist auch gesellschaftlich gefährlich. Seine Äußerungen schüren Misstrauen gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund, die längst ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft sind. Wer die Staatsbürgerschaft zu einem Werkzeug der Disziplinierung macht, sendet die Botschaft, dass manche Deutsche nur auf Bewährung hier sind. Das untergräbt den sozialen Frieden und die Bereitschaft zur Integration.

Gerade in einer Zeit, in der der gesellschaftliche Zusammenhalt ohnehin unter Druck steht, braucht es Politiker, die Brücken bauen, keine Gräben ziehen. Es braucht klare Konzepte für Integration, eine stärkere Förderung von Bildung und Arbeitsmarktchancen, sowie eine effiziente Verwaltung. Was wir nicht brauchen, sind Forderungen, die den Eindruck erwecken, dass Deutschland die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger zur Disposition stellt.

Ein unwürdiger Wahlkampf

Friedrich Merz hat angekündigt, einen sachlichen Wahlkampf führen zu wollen. Doch seine Forderungen zum Staatsangehörigkeitsrecht zeigen das Gegenteil: Populistische Schlagworte sollen von der Tatsache ablenken, dass es an tragfähigen Konzepten fehlt. Ein solcher Wahlkampf ist nicht nur unwürdig, er ist gefährlich. Denn wer mit den Grundfesten unserer Demokratie spielt, riskiert, dass am Ende nicht nur das Vertrauen in die Politik, sondern auch in den Rechtsstaat erodiert.

Die Staatsbürgerschaft ist kein Privileg, das nach Belieben entzogen werden kann. Sie ist ein Grundrecht, ein Band, das die Bürgerinnen und Bürger mit dem Staat verbindet – und nicht zur Disposition stehen darf. Wer das infrage stellt, disqualifiziert sich nicht nur als Kanzlerkandidat, sondern auch als Hüter unserer Verfassung.

Fotoquelle: photocosmos1 / Shutterstock.com

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