Das Kreuz mit der 35-Stunden-Woche

In der momentanen Zeit eine Meinung zum Thema New Work zu artikulieren ist in etwa vergleichbar damit, ein Sandkorn in den Sandkasten zu werfen und eine grundlegende Veränderung in der inhärenten sandkästlichen Ordnung zu erwarten. New Work ist neben AI das gegenwärtig wohl am häufigsten benutzte Buzzword, Menschen werfen damit um sich, als wäre es Kamelle während der Karnevalszeit.

Wenn es also im nachfolgenden Artikel um die Anpassung der aktuell in Deutschland gültigen 35-Stunden Woche geht, werden viele die Augen verdrehen, sich denken: „Oh toll, der eine Million drölfzigste Artikel zu New Work, wie interessant, dazu habe ich in letzter Zeit ja noch gar nichts gehört.“ und aufhören zu lesen.

Doch die Herabsetzung dieses dogmatisch beibehaltenen Relikts der Vorzeit hat nur bedingt etwas mit New Work zu tun – die Abschaffung der 35-Stunden Woche oder mancherorts gar 40-Stunden Woche hat nämlich etwas mit Right Work zu tun. Klar tragen neue Arbeitsstrukturen und -methoden, schicke Büros mit Wohlfühlatmosphäre und der gleichen auch zur Besserung der Arbeitsmoral und Produktivität bei. Aber die Verringerung der Regelarbeitszeit unterscheidet sich von den anderen Beispielen darin, dass sie ersatzlos ist.

Das Problem mit dem Status quo

Die IG Metall hat unlängst gefordert, dass Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit für zwei Jahre auf 28 Stunden verringern können. Klar, eine Reduzierung ist bereits heute in vielen Unternehmen möglich. Doch meist ohne die Chance, die Stunden später wieder aufstocken zu können, reicht man mit der Forderung nach weniger Stunden häufig quasi auch gleichzeitig seine Kündigung ein.

Doch woher kommt der Gedanke, dass nur der Arbeiter, der 35 oder 40 Stunden an seinem Arbeitsplatz verbringt auch ein produktiver Arbeiter ist? Genau das Gegenteil ist der Fall. Zahlreiche Studien belegen, dass kognitive Fähigkeiten mit zunehmender Arbeitsdauer abnehmen. Das Gehirn ist eben nicht unbegrenzt aufnahme- und leistungsfähig.

Ausgeruhte Arbeitnehmer hingegen, die mehr Zeit für ihr Privatleben haben und nicht hektisch nach einem 8 oder 9-Stunden Tag noch Arztbesuche, Friseurtermine oder Einkaufe erledigen müssen, können sich im Gegenzug auch stärker auf ihre Aufgaben während der Arbeit fokussieren. Acht Stunden anwesend sein bedeutet eben nicht automatisch auch 8 Stunden arbeiten. Zusätzlich schlafen erholte Arbeitskräfte besser und werden weniger oft krank.

Ein Umdenken findet statt – aber zu langsam

Erste Firmen wie beispielsweise Microsoft beginnen bereits damit, das starre System der Regelarbeitszeit in Deutschland hinter sich zu lassen. Durch die Einführung von Vertrauensarbeitszeiten (die Erledigung vereinbarter Aufgaben steht hier im Vordergrund und nicht die Präsenz am Arbeitsplatz) sind die Mitarbeiter deutlich flexibler und am Ende des Tages auch produktiver.

Auch andere Unternehmen gehen mit souveränen Arbeitszeiten oder Gleitzeiten bereits in die richtige Richtung, aber es ist eben nur ein Anfang. Am besten wäre es dabei wie so oft, man nähme sich ein Beispiel an den nordischen Staaten. In diesem Fall an Finnland. 80% der Arbeitgeber bieten dort flexible Arbeitszeiten an. Und siehe da, der Wohlstand der Finnen liegt deutlich über dem europäischen Durchschnitt. Zufall? Wohl kaum.

Dringlichkeit ist das Gebot der Stunde

Natürlich kann sich nicht jeder weniger Arbeitszeit leisten. Wer etwa nach Mindestlohn bezahlt wird, hat es schwer, mit 28 Stunden in der Woche über die Runden zu kommen. Umso dringlicher wäre dann die Einführung flexibler Arbeitszeiten. Vor allem wenn man bedenkt, dass das aktuelle Renteneintrittsalter bei 67 liegt – noch.

Eine Verringerung der Regelarbeitszeit ist also unabdingbar. Ebenso die flächendeckende Einführung von flexiblen Arbeitszeiten. Das hat auch nichts mit irgendeiner hippiemäßigen Ich-arbeite-nur-wann-ich-will-Attitüde zu tun – im Gegenteil. Andere Länder machen vor, dass genau diese Modelle den allgemeinen Wohlstand und die Lebensqualität fördern. Wenn es nämlich irgendwann nur noch übermüdete, überarbeitete und gestresste Arbeitnehmer gibt, wird die Produktivität in diesem Land merklich darunter leiden. Dann arbeiten irgendwann nur noch Leute, die mit schicken Buzzwords um sich werfen. Die werden nämlich nie müde.

Bildquelle:  g-stockstudio / Shutterstock.com

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