Europa steht vor einer Zeitenwende, nicht nur in der Sicherheitspolitik, sondern auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung von Verteidigung. Die Generation zwischen 19 und 35 Jahren, die bald politische und wirtschaftliche Entscheidungen prägen wird, zeigt erschreckend wenig Wissen über Verteidigungsbündnisse und deren Bedeutung. Dabei ist genau diese Generation ausschlaggebend, um den Weg für eine unabhängige und resiliente Sicherheitsarchitektur zu ebnen.
Ein Thema, das lange gemieden wurde
In der öffentlichen Debatte war Verteidigung lange ein Tabuthema. Nach dem Ende des Kalten Krieges schien Sicherheit in Europa selbstverständlich. Doch der Krieg in der Ukraine hat diese Illusion zerstört. Laut einer Studie von Airbus Defence and Space hat rund die Hälfte der Befragten in Deutschland Angst vor einem Krieg in Europa. Dennoch sind weniger als ein Drittel bereit, sich aktiv in der Landesverteidigung zu engagieren. Diese Kluft zwischen Angst und Handlung zeigt, wie weit Europa von einem ganzheitlichen Verständnis von Verteidigung entfernt ist.
Verteidigung ist mehr als Panzer und Flugzeuge. Es geht um die Resilienz und Souveränität eines Staates, die durch eine starke europäische Industrie gestützt werden muss.
Johannes Müller
Johannes Müller, Head of Sustainability and Communications bei Airbus Defence and Space und seit vielen Jahren nebenher auch als Fotograf in Krisen- und Kriegsgebieten unterwegs, sieht den Grund dafür in einer fehlenden Bildungs- und Aufklärungsoffensive: „Die Diskussion wurde jahrelang nicht geführt, weder von der Politik noch von der Industrie. Wir stehen heute vor einer jungen Generation, die kaum über die Bedeutung von Verteidigung und Sicherheit Bescheid weiß.“
Die Herausforderungen hybrider Kriegsführung
Während das Bild eines russischen Panzers auf deutschem Boden abstrakt scheint, hat die hybride Kriegsführung längst begonnen. Cyberangriffe und gezielte Desinformationskampagnen gehören heute zum Alltag, wie Müller betont. „Diese Angriffe sind real und massiv. Sie untergraben nicht nur die Infrastruktur, sondern auch das Vertrauen in demokratische Prozesse.“ Europa sei hier viel zu oft reaktiv statt proaktiv, argumentiert Müller weiter. „Wir diskutieren über Vergaberichtlinien, während andere Staaten längst handeln.“
Eine souveräne Verteidigungsstrategie erfordert jedoch mehr als nur neue Technologien oder höhere Ausgaben. Es geht um die Frage, wie Europa seine Verteidigungsindustrie stärkt, ohne in Abhängigkeiten von den USA oder anderen Ländern zu geraten. Denn diese Abhängigkeit droht die europäische Sicherheit langfristig zu untergraben.
Doch es gibt auch Hoffnung. Airbus zeigt, wie militärische Technologien in zivile Kontexte übertragen werden können: Von der Waldbrandbekämpfung durch umgerüstete Flugzeuge bis zur Minendetektion mit Satellitendaten. Prävention und Resilienz sind für Müller zentrale Ansätze, um Konflikte gar nicht erst entstehen zu lassen. „Die beste Verteidigung ist, den Konflikt zu verhindern“, erklärt er.
Ein Appell an Europa
Am Ende bleibt die Erkenntnis: Europa muss lernen, als Einheit zu agieren – nicht nur in der Verteidigung, sondern auch in der politischen und gesellschaftlichen Verantwortung. „Ohne eine robuste und resiliente Verteidigungsindustrie wird Europa immer von anderen abhängig bleiben“, mahnt Müller. Diese Einsicht mag schmerzhaft sein, doch sie ist notwendig, um die europäische Souveränität zu sichern.