Ece Temelkuran auf der DLD Conference

Ece Temelkuran: Wie verteidigen wir die Demokratie?

Warum der Kampf gegen den Rechtspopulismus mehr als bloße Rhetorik erfordert

Der Rechtspopulismus hat sich längst aus den Rändern der Gesellschaft in ihre Mitte vorgearbeitet. Parteien wie die AfD in Deutschland oder die wachsende Popularität rechter Bewegungen in Italien, Finnland oder den USA sind keine isolierten Phänomene. Vielmehr zeugen sie von einem tiefgreifenden politischen Wandel, der die Errungenschaften der Demokratie in Frage stellt. Doch wie konnte es soweit kommen?

Ece Temelkuran, eine der profiliertesten Kritikerinnen moderner autokratischer Strukturen und Autorin von Büchern wie „How to Lose a Country: The 7 Steps from Democracy to Dictatorship“, sieht die Wurzeln dieser Entwicklung im Aufstieg des Neoliberalismus. “In den 1980er Jahren brach der Neoliberalismus die Würde der Menschen”, sagt sie. Was blieb, war eine Gesellschaft, die nach Stolz suchte – ein Gefühl, das Populisten geschickt zu mobilisieren wussten. Diese Manipulation von Emotionen bildet den Kern ihres Erfolgs. “Wenn Menschen ihrer Würde beraubt werden, greifen sie zu ihrem Stolz”, erklärt Temelkuran. Die Rechtspopulisten nutzen diesen Mechanismus, indem sie Sündenböcke konstruieren und soziale Spannungen anheizen.

Doch nicht nur ökonomische Ungleichheit hat diese Entwicklungen begünstigt. Auch die kulturelle Marginalisierung linker Ideale hat ihren Beitrag geleistet. Temelkuran warnt, dass ohne eine Renaissance progressiver Politik die Demokratie weiterhin gefährdet bleibt. “Die Dämonisierung der Linken hat uns dorthin geführt, wo wir heute stehen”, betont sie. Eine Demokratie, die sich auf den bloßen Erhalt bestehender Strukturen konzentriert, könne keinen echten Widerstand gegen autokratische Tendenzen bieten.

Emotionale Politik als Antwort

Eine der zentralen Herausforderungen im Kampf gegen den Rechtspopulismus ist die Frage, wie man auf deren Politik der Emotionen reagiert. Für Temelkuran liegt die Antwort nicht in kühler Faktenlage oder rationalem Diskurs. “Faschismus funktioniert durch Schock und Überforderung”, sagt sie. “Die Menschen müssen aufhören, sich ausschließlich mit den Provokationen der Rechten zu beschäftigen, und anfangen, einander zuzuhören.” Es geht um Würde und Gleichheit – nicht nur als politische Schlagworte, sondern als gelebte Werte.

Faschismus heute trägt keine Uniformen und Stiefel mehr – er kommt wie ein wandernder Zirkus auf die politische Bühne.

Ece Temelkuran

Dabei sei es entscheidend, den Menschen nicht einfach mehr Freiheit zu versprechen. Freiheit, so Temelkuran, sei oft ein irreführender Begriff in politischen Debatten. Stattdessen müsse die Politik die Würde des Einzelnen in den Vordergrund stellen. “Selbst in Situationen, in denen es keine Freiheit gibt, verteidigen die Menschen ihre Würde. Das ist der Ansatzpunkt.”

Ein Appell an Deutschland

Temelkuran zeigt sich im Rahmen der DLD in München trotz aller Herausforderungen optimistisch, was Deutschland betrifft. Sie sieht das Land als Schlüsselfigur im globalen Kampf für Demokratie. “Deutschland hat Erfahrung mit den dunkelsten Kapiteln der Geschichte”, sagt sie. Doch sie betont, dass diese Erinnerung nicht allein auf die Schrecken des Dritten Reichs beschränkt bleiben dürfe. Vielmehr müssten die Lehren, die Denker wie Hannah Arendt, Walter Benjamin und Theodor W. Adorno gezogen haben, wieder stärker ins kollektive Bewusstsein treten.

“Deutschland hat das Potenzial, der Welt zu zeigen, wie man Faschismus bekämpft”, ist Temelkuran überzeugt. Doch dazu braucht es eine Politik, die Mut zur Schönheit hat – eine Schönheit, die sich in moralischer Standhaftigkeit und sozialer Gerechtigkeit ausdrückt. “Das bedeutet nicht Blumen und Regenbögen”, erklärt sie, “sondern die Entschlossenheit, moralisch zu bleiben, auch wenn es schwierig wird.”

Die Herausforderungen, die vor Deutschland und der Welt liegen, sind enorm. Doch Temelkuran ist überzeugt, dass ein Umdenken möglich ist – wenn wir uns darauf besinnen, was Demokratie ausmacht: Würde, Gleichheit und die Fähigkeit, einander zuzuhören.

Fotoquelle: Ulrike Froemel for DLD/Hubert Burda Media

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