Es sind keine lauten Schritte, die die Demokratie ins Wanken bringen. Es sind die stillen Bewegungen: die Verharmlosung, das Wegschauen, das Sich-Abfinden. Historische Lehren, die einst Mahnungen sein sollten, werden heute zu oft als verblassende Relikte abgetan. Doch die Geschichte kennt keine Immunität – nur Wiederholungen.
Wenn heute Populisten erstarkende Wählerschichten hinter sich versammeln, ist das kein Phänomen des Augenblicks. Es ist das Ergebnis eines schleichenden Prozesses. Die Unzufriedenheit wächst in Gesellschaften, die von Krisen gebeutelt sind. Die Spaltungen vertiefen sich, wenn politische Institutionen und Eliten zu lange auf Stabilität setzen, ohne die drängenden Fragen ihrer Zeit zu beantworten. In Deutschland, aber auch in den Vereinigten Staaten, zeigt sich, wie systematisches Misstrauen und Polarisierung Raum schaffen für Radikale.
Warum schaut niemand hin?
Ein Problem ist nicht nur das Auftreten dieser Bewegungen, sondern die Blindheit der Mitte. Wie in den 1920er-Jahren, als die NSDAP schleichend Fuß fassen konnte, wird auch heute das Mobilisierungspotenzial rechter und autoritärer Gruppierungen unterschätzt. Man wähnt die Gesellschaft stabil – bis zu dem Moment, an dem man feststellt, dass die Fundamente längst bröckeln. Die vermeintlich aufgeklärte Bevölkerung, die sich sicher wähnt, verkennt häufig, wie groß die Kluft zur Mehrheit der Wählerschaft ist.
Hier liegt der Kern der Gefahr: Die Wahrnehmung der Eliten unterscheidet sich fundamental von der Lebensrealität vieler Menschen. Während die einen in akademischen Diskursen über Demokratie philosophieren, empfinden die anderen den Verlust von Sicherheit, Einkommen und Perspektive. Diese Diskrepanz ist die Leerstelle, die Populisten füllen.
Die Verantwortung der Demokratie
Es ist zu einfach, die Schuld allein bei den Verführern zu suchen. Die Frage, warum die Versuchung so stark wird, ist zentral. Demokratie darf keine Selbstverständlichkeit sein. Sie lebt von ihrer Verteidigung, von ihrer Anpassung an die Zeit und von ihrer Fähigkeit, zuzuhören. Das Misstrauen, das sich vielerorts breitmacht, ist kein unvermeidliches Schicksal – es ist das Ergebnis von Unterlassungen.
Wenn demokratische Parteien nicht lernen, klare und glaubwürdige Antworten auf die Sorgen der Menschen zu geben, werden sie weiterhin den Boden für jene bereiten, die einfache Lösungen anbieten. Es ist Zeit für einen neuen Blick: einen, der die Geschichte als Warnung versteht und die Gegenwart als Auftrag.