Bayerischer Hof in München während der MSC 2025

Munich Security Conference 2025: Eine Welt in Unordnung

Europas Stunde der Wahrheit

Die Münchner Sicherheitskonferenz war lange ein Ort der Gewissheiten. Hier kam zusammen, was zusammengehörte: der Westen, geeint im Bekenntnis zu Frieden, Freiheit und Zusammenarbeit. 2025 ist von dieser Gewissheit nichts mehr übrig. Stattdessen: Misstrauen, Ratlosigkeit, Auseinanderdriften. Die USA unter Donald Trump schalten auf Isolationismus, Europa steckt im Dilemma zwischen sicherheitspolitischer Eigenständigkeit und transatlantischer Abhängigkeit, Russland setzt darauf, dass sich der Westen selbst zerlegt, und China baut sich als ordnende Weltmacht auf. München war einst ein strategisches Familientreffen. Jetzt ist es ein Krisengipfel – eine Konferenz der offenen Rechnungen und kalten Schuldsprüche. Die Frage ist nicht mehr, ob die Welt aus den Fugen geraten ist. Sie ist es längst. Die Frage ist, ob Europa das begreift – und ob es sich daraus befreit.

Ein Gipfel der Illusionen

Die USA schickten mit J.D. Vance ihren Vizepräsidenten – und dieser lieferte eine politische Breitseite, die in München noch lange nachhallen wird. „Die größte Gefahr für Europa kommt nicht von außen, sondern von innen“, erklärte Vance. Europa, so sein Vorwurf, sei eine Region der eingeschränkten Meinungsfreiheit, in der Populisten ausgegrenzt und der Wille der Bürger ignoriert werde. Er lobte keine Verbündeten, er ermahnte sie. Während Russland Krieg führt, während China seinen Machtbereich ausbaut, während die Welt neue Allianzen schmiedet, hält der zweite Mann der mächtigsten Demokratie der Welt Europa einen Spiegel hin – mit der Botschaft: Ihr seid euer größtes Problem selbst.

Das ist ein Frontalangriff, nicht auf Putin, sondern auf Paris, Berlin und Brüssel. In Washington gibt es einen neuen Sheriff, und er will nicht mehr Verbündete führen, sondern sie zur Ordnung rufen. Trump sieht Europa als Schutzbedürftigen, der sich endlich selbst verteidigen soll – oder sich eben abfinden muss mit der Realität, dass Amerika andere Prioritäten hat. Der Trumpismus bedeutet: Keine Automatismen mehr. Keine blanko ausgestellten Schutzversprechen. Keine nachsichtig geführte Allianz. „Make a deal and leave“ – das ist der neue Geist amerikanischer Außenpolitik. Wer in München hoffte, dass sich das noch ändern könnte, wurde enttäuscht.

Europas Stunde? Oder Europas letzte Ausrede?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sprach es aus: Die transatlantische Verlässlichkeit ist Vergangenheit. Ein „make a deal and leave“ würde nicht nur die Ukraine, sondern auch Europa schwächen. Aber was folgt daraus? Was folgt aus der Erkenntnis, dass die USA nicht mehr die verlässliche Schutzmacht sind, die sie jahrzehntelang waren? Nichts wäre gefährlicher, als diese Konferenz mit einer Mischung aus Alarmismus und Resignation zu verlassen. Europa braucht keine Schockstarre, sondern einen Befreiungsschlag.

Doch den vermisst man. Man hört in München viele Worte über europäische Verteidigung, über strategische Autonomie, über eine gemeinsame Sicherheitspolitik. Man hört viel über einen „Weckruf“. Doch was, wenn der Weckruf wieder einmal ungehört verhallt? Die Versäumnisse der letzten Jahre – die Abhängigkeit von den USA, das Verharren in internen Streitereien, die klägliche Verteidigungspolitik – sind in München greifbarer als je zuvor. Zu lange hat sich Europa auf Washington verlassen. Jetzt steht es da, sicherheitspolitisch entblößt, und muss sich fragen: Haben wir die Kraft, uns selbst zu schützen?

Ein Europa der Taten oder ein Europa der Klagen? Das ist die eigentliche Frage dieser Konferenz. Frankreich will strategische Eigenständigkeit, Deutschland zögert, Polen will mehr US-Präsenz, und die meisten EU-Länder erreichen nicht einmal das 2-Prozent-Ziel für Verteidigungsausgaben. Man redet über die europäische Armee, über eigene Verteidigungsstrukturen, aber man handelt nicht. Man erklärt, dass man unabhängiger werden muss – aber wenn die USA mehr fordern, mehr zahlen, dann hofft man insgeheim doch wieder auf den Schutz der alten Ordnung. Europa braucht keine Papiertiger-Rhetorik mehr. Es braucht die Fähigkeit zur Selbstverteidigung – und den Willen, das durchzusetzen.

Amerikas Rückzug – Russlands Chance

Während Europa um sich selbst kreist, nutzt Moskau die Gunst der Stunde. Noch während die Konferenz lief, kam die Nachricht: Ein russischer Drohnenangriff auf Tschernobyl. Russland demonstriert, dass es weiterhin auf Eskalation setzt – auch während über Frieden gesprochen wird. Gleichzeitig spielt Putin auf Zeit. Moskau setzt darauf, dass Washington die Geduld mit der Ukraine verliert, dass Europa sich intern zerstreitet, dass die Unterstützung bröckelt. Und tatsächlich: Trumps USA signalisieren, dass ein „schneller Deal“ für sie wichtiger ist als das vollständige Zurückdrängen russischer Truppen. Die Ukraine müsse sich „realistischen Lösungen“ stellen, erklärt US-Verteidigungsminister Pete Hegseth. Das ist die neue Sprachregelung für Gebietsverluste.

Putin wittert Morgenluft. Er sieht ein Europa, das sich immer noch uneinig ist. Er sieht einen Westen, der sich gegenseitig belehrt, anstatt entschlossen zu handeln. Und er sieht eine Ukraine, die auf europäische Hilfe angewiesen ist – während die USA sich immer mehr zurückziehen. Für Europa wird diese Konferenz zum Lackmustest: Ist man bereit, Kiew unabhängig von Washington zu stützen? Oder geht man in eine neue Ära der sicherheitspolitischen Abhängigkeit – diesmal nicht von den USA, sondern vom eigenen Unvermögen?

China und die neue Weltordnung

Während Russland auf Spaltung setzt, baut China an der neuen Weltordnung. Wang Yi präsentierte China in München als stabilisierende Kraft, als ordnende Macht in einer Welt des westlichen Chaos. Die Botschaft: Der Westen zerfällt, aber China bleibt. Die Europäer hören das mit Skepsis, aber auch mit wachsender Aufmerksamkeit. Denn während Washington Europa bevormundet, bietet Peking strategischen Dialog an. Während Trump Deals diktiert, signalisiert China Verlässlichkeit.

Natürlich ist das kein selbstloses Angebot. China will Europa nicht helfen, sondern es binden – wirtschaftlich, diplomatisch, sicherheitspolitisch. Doch wenn Washington weiter die Partnerschaft riskiert, könnte Europa sich gezwungen sehen, seine geopolitischen Optionen breiter aufzustellen. Was einst unvorstellbar schien – eine EU, die nicht automatisch auf der Seite der USA steht – könnte in München seinen Anfang nehmen.

Europas Stunde der Entscheidung

München 2025 war ein Weckruf, aber es war auch eine Bewährungsprobe. Es hat sich gezeigt, dass Europa nur noch zwei Wege hat: sich selbst verteidigen oder sich selbst aufgeben. Es gibt keine Ausreden mehr. Wer sich auf Amerika verlässt, wird verlassen. Wer sich auf Brüssel verlässt, muss Brüssel verändern. Wer sich auf den Status quo verlässt, wird vom Wandel überrollt. Jetzt ist die Zeit des Handelns.

Was ist jetzt nötig?

  • Verteidigungsfähigkeit aufbauen: Europa muss seine sicherheitspolitische Naivität ablegen und seine Verteidigung endlich zur Priorität machen. Mehr Geld, mehr Koordination, mehr strategische Klarheit.
  • Transatlantische Beziehungen neu definieren: Nicht Unterordnung, sondern Partnerschaft. Europa muss den USA auf Augenhöhe begegnen – und das bedeutet, auch ohne sie bestehen zu können.
  • Chinas Rolle verstehen: Weder blinde Konfrontation noch blinde Kooperation. Europa muss Peking strategisch begegnen, nicht reflexartig.
  • Russlands Spiel durchkreuzen: Kiew darf nicht fallen. Europas Sicherheit wird nicht in München entschieden, sondern in Donezk, Charkiw und Kiew.

München hat uns gezeigt, dass die alten Sicherheiten tot sind. Es gibt kein Zurück mehr in die alte Weltordnung. Jetzt geht es darum, wie die neue aussehen wird – und ob Europa darin eine Rolle spielt. Die Geschichte fragt nicht, ob wir bereit sind. Sie passiert einfach. Europa muss jetzt antworten. Oder es wird von anderen beantwortet.

Fotoquelle: MSC/Lukas Barth-Tuttas

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  1. Ich möchte einen Punkt in die Betrachtungen aufnehmen, der mir regelmäßig zur kurz kommt, der unscheinbar ist aber gewichtig. Ein selbstbewusster, europäischer Plan, der sowohl wirtschaftliche Stärken bündelt, als auch sicherheitspolitisch überzeugt, stärkt die Demokratien auch nach innen. Bürger fühlen sich selbst schwach und haltlos, wenn sie in einem schwachen, mäandernden Politik-Umfeld leben. Damit meine ich NICHT Führer, damit meine ich durch gute Argumente überzeugende Führung. Ein Europa, mit dem man sich gerne emotional wie intellektuell identifiziert, muss Vorteile, Sicherheit und Verlässlichkeit bieten. Das ist der beste Schutz gegen Radikale und Faschisten.

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