Dr. Rumman Chowdhury

Rumman Chowdhury: Wer programmiert die Moral der Maschinen?

Die Illusion der Eigenständigkeit

Es ist eine alte Frage, die in neuen Kontexten auftaucht: Wer trägt die Verantwortung, wenn Maschinen über Menschenleben entscheiden? Die Debatte um künstliche Intelligenz hat sich von der einstigen Euphorie über die technologischen Möglichkeiten hin zu einer zunehmend ernüchternden Betrachtung verlagert. KI ist heute mehr als ein nützliches Werkzeug – sie ist ein gesellschaftlicher Akteur geworden, dessen Wirken oft nicht mehr hinterfragt wird.

Doch diese Maschinen, so erklärt die renommierte KI-Ethikerin Dr. Rumman Chowdhury, haben keinen eigenen Willen. „Es gibt keine Intention, keine Absicht hinter KI. Sie ist nicht lebendig. Sie ist ein Programm, das Befehle ausführt.“ Und dennoch: Die Diskussionen um autonome Systeme klingen oft so, als wären sie bewusste Entitäten. Diese Sprachwahl führe zu einer gefährlichen Verschiebung von Verantwortung. „Indem wir annehmen, dass KI eigene Entscheidungen trifft, verstecken wir die eigentlichen Verantwortlichen: die Entwickler, die Investoren, die politischen Entscheidungsträger.“

Geopolitik und der Wettlauf um KI

Besonders problematisch sei dies in Bereichen, in denen Technologie auf menschliche Werte trifft – sei es in der Mobilität, in der Arbeitswelt oder im Militär. Autonome Fahrzeuge sind hier ein Lehrstück: Die ersten Konzepte, entworfen vor zwanzig Jahren, zeigten futuristische, steuerungslose Kapseln. Heute jedoch sieht die Realität anders aus: Menschen sitzen weiterhin am Steuer, weil die rechtliche Verantwortung nicht bei Unternehmen liegen darf. „Wenn ein Uber-Auto im autonomen Modus einen Menschen überfährt, haftet nicht die Firma, sondern die Fahrerin oder der Fahrer im Wagen. Die Technik ist fehlerhaft, aber die Konsequenzen tragen andere.“

Statt KI ethisch zu regulieren, überlassen wir sie geopolitischen Interessen und einem künstlichen Wettrüsten.

Dr. Rumman Chowdhury

Ein ähnliches Prinzip zeigt sich im Militär. Chowdhury erinnert an die ersten Drohnenangriffe im Irak-Krieg: „Da saß ein junger Soldat in einem klimatisierten Raum, drückte einen Knopf, und auf der anderen Seite der Welt starb ein Mensch. Im Raum wurde gejubelt, als wäre es ein Videospiel.“ Diese Entmenschlichung sei eines der größten Probleme der KI. „Je weiter wir uns von der unmittelbaren Konsequenz unserer Entscheidungen entfernen, desto leichter fällt es uns, Unrecht zu akzeptieren.“

Trotzdem ist es nicht nur die Technologie selbst, die Anlass zur Sorge gibt, sondern auch die geopolitischen Rahmenbedingungen, unter denen sie entwickelt wird. „Wir sehen, wie KI immer stärker von Nationalstaaten vereinnahmt wird. 2025 wird das Jahr der ’souveränen KI‘ sein – mit eigenen Sprachmodellen, eigenen Bildgeneratoren, eigenen KI-Agenten, die von Staaten finanziert werden, weil private Unternehmen die Kosten allein nicht mehr tragen können.“ Dies führe zu einer zunehmenden Politisierung der Technologie, die einen globalen Konsens immer unwahrscheinlicher mache.

Die blinden Flecken der KI-Entwicklung

Der Vergleich mit der Klimapolitik liegt nahe: Auch hier gab es Versuche, ein globales Regulierungsmodell zu schaffen. „Das IPCC hat für den Klimaschutz eine wissenschaftliche Grundlage geschaffen. So etwas gibt es für KI nicht. Wir haben stattdessen einen Wildwuchs an Organisationen: UN, OECD, nationale Regulierer – aber keine gemeinsame Basis.“ Gleichzeitig werde Wissenschaft zunehmend als politisches Werkzeug missbraucht. „Statt Wissenschaft als neutrale Instanz der Erkenntnis zu sehen, wird sie immer häufiger ideologisch vereinnahmt. Das erschwert eine faktenbasierte Debatte enorm.“

Eine zentrale Frage bleibt: Wer profitiert von KI? Chowdhury weist auf ein oft übersehenes Problem hin: die Datenbasis. „Ein Großteil der KI-Modelle wird mit englischsprachigen, westlich geprägten Inhalten trainiert. Der globale Süden, Frauen, nicht-englischsprachige Communities – sie alle sind unterrepräsentiert. Und nun kommt eine neue Entwicklung hinzu: Während linke Medien ihre Inhalte vor KI-Firmen schützen, geben rechte Medien ihre Daten frei. Das führt dazu, dass KI-Modelle zunehmend eine konservative Schlagseite bekommen.“ Die Technik reproduziere also nicht nur Vorurteile, sie verstärke sie auch noch aktiv.

Doch was ist die Alternative? Chowdhury sieht weniger eine Reform des Kapitalismus als eine Notwendigkeit, den Gegenpol zu stärken: „Wir können nicht erwarten, dass Unternehmen unser Leben verbessern. Das ist nicht ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe ist es, Gewinne zu machen. Also müssen wir andere Institutionen stärken – Regierungen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft. Sonst schaffen wir ein Ungleichgewicht, in dem Unternehmen über unser aller Leben entscheiden.“

Diese Fragen und Herausforderungen wurden auch auf der diesjährigen SXSW in Austin diskutiert, wo Chowdhury auf der Bühne stand und im Gespräch ihre Perspektiven darlegte. „Die Herausforderung ist nicht die KI selbst“, resümiert sie. „Die Herausforderung ist, wie wir mit ihr umgehen.“

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