Hans Sigl

Hans Sigl über Haltung, Empathie und gesellschaftliche Verantwortung

Die Rückkehr zur Zuversicht

Es gibt Zeiten, in denen Worte nicht mehr tragen. Zeiten, in denen der Zweifel lauter wird als der Dialog, und selbst der Zweckoptimismus seine Kraft verliert. So eine Zeit, so scheint es, ist jetzt.

Die Herausforderungen sind bekannt. Die Klimakrise ist kein Schreckgespenst mehr, sie ist Gegenwart. Der Rechtsruck ist keine Randerscheinung mehr, sondern ein systemischer Riss durch Demokratien. Und das Vertrauen in politische Repräsentation, in Medien, in gemeinsame Narrative – es bröckelt. Was also tun in einer Gesellschaft, die alles zu wissen scheint und doch immer weniger versteht?

Hans Sigl, Schauspieler und überzeugter Demokrat, spricht nicht von Angst. „Ich empfinde eher Ratlosigkeit“, sagt er. „Und was mich wirklich ärgert: Dass mir manchmal selbst der Zweckoptimismus abhandenkommt.“ Er beobachtet die gesellschaftlichen Verwerfungen nicht von außen, sondern als Teil eines Systems, in dem er Sichtbarkeit besitzt. Und Verantwortung.

Haltung statt Lautstärke

Sigl gehört nicht zu denen, die schweigen. Gerade in der Pandemie war er eine laute Stimme für Vernunft und Aufklärung. Dass er dafür auch Gegenwind bekam, irritierte ihn nicht. Viel mehr irritierte ihn die Frage: „Hast du keine Angst, deine Meinung zu sagen?“ Für Sigl ein beunruhigender Satz – weil er mehr über den Zustand der Gesellschaft sagt als über den Mut des Einzelnen.

Ich beobachte eine Generation, die sagt: Politik interessiert sich nicht für mich – warum also sollte ich mich für Politik interessieren?

Hans Sigl

Es geht um Haltung. Nicht nur um Verhalten. Und es geht darum, ob wir bereit sind, unsere Haltung zu überdenken – als Einzelne und als Gemeinschaft. Sigl bringt es mit einem Bild auf den Punkt: „Wenn du dein Verhalten änderst, aber nicht deine Haltung, dann hast du bald ein Problem. In der Beziehung, in der Gesellschaft, überall.“ Der Mann, der als „Bergdoktor“ Millionen Menschen erreicht, fordert mehr als kleine Kurskorrekturen. Er plädiert für eine andere politische Sprache – eine, die verständlich, ehrlich und nahbar ist.

Was in der politischen Kommunikation fehlt, ist für ihn nicht nur Klarheit, sondern Augenhöhe. „Man müsste Politik in einfachen Bildern erklären – nicht, weil die Menschen dumm wären, sondern weil sie erschöpft sind.“ Es sei zu leicht, mit Komplexität zu überfordern und sich dann über Verdrossenheit zu wundern. Wer Vertrauen will, muss zunächst verstanden werden.

Verletzlichkeit und Stärke

Dass sich der Ton verändert hat – auch in der medialen Welt – ist für Sigl spürbar. Ironie ist riskant geworden, Humor missverständlich. Er beobachtet die Öffentlichkeit wie ein erfahrener Psychologe. „Im Netz gibt es keine Ironie mehr, keinen doppelten Boden. Deshalb muss ich ernste Dinge jetzt ernster sagen.“ Und doch bleibt er jemand, der glaubt, dass man mit Haltung mehr erreicht als mit Lautstärke.

Dabei sieht er sich nicht als moralische Instanz. Sigl spricht als Mensch mit Geschichte. Seine Jugend war nicht frei von Brüchen. Anpassung war Notwendigkeit. Er wechselte Orte, sprach neue Dialekte, imitierte Verhaltensweisen – nicht, um zu gefallen, sondern um zu überleben. Dass daraus ein Gespür für Menschen, für Rollen, für Psychologie wurde, ist fast eine logische Konsequenz. „Ich musste sehr früh lernen, zu beobachten“, sagt er. Vielleicht ist das der Anfang jeder Empathie: genau hinsehen.

Empathie und Zuversicht sind die beiden Grundpfeiler meiner Rolle – und vielleicht auch das, was uns als Gesellschaft gerade am meisten fehlt.

Hans Sigl

Auch seine Haltung zur Familie ist klar und undogmatisch. Sigl hat den Kontakt zu seinen Eltern bewusst abgebrochen – und darüber öffentlich gesprochen. Nicht aus Trotz, sondern aus Fürsorge. Für sich. Für andere. Und mit einer Gelassenheit, die vielen Mut macht. Dass gerade in diesem Bereich noch so wenig Offenheit herrscht, ist für ihn Ausdruck eines gesellschaftlichen Tabus. „Es gibt so viele dysfunktionale Familien – aber wir reden nicht darüber. Und wenn doch, dann mit Scham.“

Eine neue Sprache der Politik

Was bleibt also? Vielleicht ist es tatsächlich die Rückbesinnung auf das Einfache: dem eigenen Urteil trauen, dem anderen zuhören, aufhören, sich in Wut zu flüchten. „Wir sind im selben Boot“, sagt Sigl. „Und wir müssen einander wieder in die Augen schauen, ohne sofort den nächsten Schlagabtausch zu erwarten.“

Er glaubt daran, dass Veränderung möglich ist – nicht über Nacht, aber durch viele kleine Schritte. Und er glaubt daran, dass man Haltung zeigen kann, ohne belehrend zu sein. Dass man sich politisch äußern darf, ohne Angst vor Jobverlust oder Shitstorms. Und dass man ein Publikum gewinnen kann – nicht trotz, sondern wegen dieser Klarheit.

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