Narzissmus ist mehr als bloße Selbstverliebtheit; er umfasst ein starkes Bedürfnis nach Bewunderung und eine geringe Empathie. Dr. Bärbel Wardetzki, Psychotherapeutin, Autorin und Expertin auf diesem Gebiet, beschreibt Narzissmus als ein Kontinuum, das von gesunder Selbstliebe bis zu einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung reicht. Sie betont, dass der Begriff oft inflationär und undifferenziert verwendet wird: „Menschen, die unangenehm sind, werden sofort als Narzissten betitelt und kommen dann in eine Schublade, aus der sie nicht mehr rauskommen.“
Wardetzki erklärt, dass Narzissmus nicht immer eindeutig diagnostiziert wird, da er unterschiedlich definiert wird. Besonders wichtig sei, zu verstehen, dass Narzissmus nicht nur ein individuelles, sondern auch ein gesellschaftliches Phänomen ist. „Unsere Gesellschaft ist so konstruiert, dass alles Narzisstische enorm positiv sanktioniert wird“, bemerkt sie. Diese Struktur begünstigt das Entstehen von Narzissmus, da Menschen lernen, sich durch äußere Anerkennung zu definieren.
In Beziehungen zeigt sich Narzissmus oft durch ein Ungleichgewicht in der emotionalen Dynamik. Wardetzki hebt hervor, dass narzisstische Persönlichkeiten oft Schwierigkeiten haben, echte Nähe zuzulassen, da sie sich hinter einer Fassade von Überlegenheit verstecken. Diese Fassade dient als Schutzschild gegen tiefere Verletzungen und Unsicherheiten, die die Betroffenen oft nicht wahrnehmen oder anerkennen wollen.
Wardetzki weist darauf hin, dass Narzissmus häufig mit anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen oder Burnout einhergeht. Sie betont die Wichtigkeit professioneller Hilfe, um diese komplexen Dynamiken zu verstehen und zu bewältigen. „Narzissmus ist eine Schutzfunktion vor neuen Verletzungen“, erklärt sie. Diese Schutzfunktion kann jedoch langfristig zu einer erheblichen Belastung werden, sowohl für die Betroffenen als auch für ihr Umfeld.