Was genau geschieht eigentlich gerade mit unserer Gesellschaft? Seit einigen Jahren scheint es, als würden wir alle die Bodenhaftung verlieren, den Normalzustand aufzugeben und stattdessen in einem konstanten, niemals enden wollenden Wandel zu leben, der im Grunde alle Lebensbereiche betrifft. Gesellschaftlichen beziehungsweise kulturellen Wandel gab es schon immer, neue Entwicklungen und technologischen Fortschritt auch, doch niemals geschah er in einer derart rasenden Geschwindigkeit, niemals gleichzeitig auf so vielen Ebenen.
Anfangs sprachen wir alle von der Digitalen Transformation, davon, dass wir jetzt alle alles digital machen – vor allem im Arbeitsumfeld, längst aber auch im Privaten. Es war der Anfang einer Evolutionsstufe, die in ihrem Umfang wohl niemand vorausgesehen hat und deren Ende noch sehr lange nicht erreicht sein wird. Es war der Startschuss für spannende neue Technologien und einer neuen gesellschaftlichen Transparenz, die zeigte, dass die heile Welt, die wir in den vergangenen 50 Jahren alle im Kopf hatten, gar nicht so heil ist. Es folgte eine Verschärfung im Umgangston, eine Stärkung des rechten Milieus, die man gerade in Deutschland niemals mehr für möglich gehalten hätte.
Doch wie kam es dazu? Wie konnte all das in so kurzer Zeit geschehen?
All die positiven, aber vor allem auch die negativen Entwicklungen? Eine spannende Frage, deren Antwort viel mit Überforderung zu tun hat. Wir Menschen sind Gewohnheitstiere, sind eingestellt auf feste Abläufe, Prozesse, Lebenssituatione und – gerade in westlichen Ländern – einen gewissen Wohlstand. Alles, was den Status Quo auch nur im abstraktesten Sinne gefährden könnte, macht uns Angst, ruft eine innere Verteidigungshaltung in uns hervor.
Diese Verteidigungshaltung ist grundsätzlich keine neue Entwicklung – wir Menschen hatten schon immer Angst vor Veränderungen und der Ungewissheit, die diese mitbringen könnten. Jetzt könnte man also sagen, dass die gegenwärtige Entwicklung eigentlich nichts ungewöhnliches ist, doch das wäre nicht ganz richtig. Während die gesellschaftlichen Reaktionen nicht außergewöhnlich sind, ist es die Vielzahl der auslösenden Umstände sehr wohl.
Sich verändernde Arbeitswelten, unbekannte und zuweilen komplexe technologische Entwicklungen, die Flüchtlingskrise, die Globalisierung und viele weitere Faktoren betreffen fast unsere gesamte Gesellschaft. Sie alle sind in ihren Auswirkungen wenig transparent und meist nur schwer zu verstehen. Sie alle sorgen für unbekannte Veränderungen – und diese Unsicherheit sorgt für einen stetig wachsenden Teil der Gesellschaft, der davon ausgeht, dass diese Entwicklungen vor allem negative Folgen haben könnten.
Unsicherheit und Angst haben uns Menschen noch nie gut getan.
Sie waren schon immer Brutstätte für die negativsten gesellschaftlichen Entwicklungen. Sie haben uns Diktatoren blind folgen lassen, sie haben hetzerische Parolen nachvollziehbar und sinnvoll erscheinen lassen, sie haben uns die Augen vor der oftmals zu komplex erscheinenden Wahrheit schließen lassen. Und heute wie damals haben es diejenigen Personen, die verstanden haben, was wirklich geschieht, versäumt aufzuklären. Damals wie heute waren sie der Meinung, dass es alle anderen auch verstehen, dass es keinen Bedarf gibt, selbst aktiv zu werden, dass alles nicht so schlimm werden wird. Doch damals wie heute ist diese Annahme falsch, sie hat fatale, sich selbst potenzierende Folgen.