Marc Frey: Die Veränderungen im Einzelhandel werden dramatisch sein.

Marc Frey ist Co-Founder von Simplify Business Innovators, einem Beratungsunternehmen mit Standorten in Berlin und San Francisco, das seinen Kunden dabei hilft, sich in einer sich ständig verändernden Welt richtig aufzustellen. Während der Deep.48fwrd: Future Commerce Masterclass in Stuttgart haben wir mit ihm über die Zukunft des Handels gesprochen und ihn gefragt, ob wir in Zukunft noch analog im Einzelhandel einkaufen werden.

Wir haben uns heute schon den ganzen Tag mit der Zukunft des Handels beschäftigt, um herauszufinden, ob wir eigentlich noch Kaufhäuser, kleine Einzelhändler oder ähnliche analoge Einkaufserlebnisse brauchen. Wenn wir uns das Verhältnis zwischen analogen und digitalen Einkäufen heute und in der Zukunft ansehen – wie wird sich das in den nächsten Jahren verändern?

Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage. Kennzeichnend für unsere Zeit ist ja vor allem diese rasante Geschwindigkeit. Wenn wir heute versuchen fünf Jahre in die Zukunft zu blicken, werden die Entwicklungen vermutlich sehr viel dramatischer sein, als wir sie uns heute vorstellen können – wenn wir einmal fünf Jahre zurückblicken und überlegen, was sich seither getan hat, wird schnell deutlich, wie gravierend die Veränderungen sind.

Generell hängt das vermutlich sehr stark von den einzelnen Segmenten ab. Wenn wir uns das Thema E-Commerce ansehen, können wir feststellen, dass die Performance je nach Bereich sehr unterschiedlich ist. In der Modeindustrie und auch bei Büchern funktioniert das heute schon sehr gut, bei Lebensmitteln sieht das aber noch ganz anders aus. Einer der Gründe dafür ist, dass die Logistik von Lebensmitteln, vor allem von leicht verderblichen Waren, sehr aufwändig ist. Ein anderer, dass unser gelerntes Einkaufsverhalten einfach ein anderes ist. Lebensmittel kaufen wir oftmals sehr spontan ein. Wenn ich im Büro feststelle, dass ich etwas Bestimmtes essen möchte und noch Zutaten dafür benötige, gehe ich einfach in den Supermarkt gegenüber und kaufe ein. Auch der Wocheneinkauf ist so eine gelernte Routine. Der Onlinehandel hat es hier bisher nicht geschafft, die Alltagsabläufe signifikant zu verändern und einen echten Mehrwert zu generieren, der die Konsumenten umstimmt.

Das wird sich aber verändern und ich denke, dass wir in Zukunft auch eine deutlich stärkere Verknüpfung von Online- und Offline-Handel sehen werden. Das wird einhergehen mit einer Veränderung der Händlerstruktur. Das ist auch nicht wirklich neu, das haben wir auch in den letzten Jahren schon sehr stark erlebt. Diese Entwicklung wird vor allem durch globale Player, wie zum Beispiel Amazon, maßgeblich getrieben. Das wird den stationären Handel kräftig unter Druck setzen, sodass er sich entweder verändern muss oder einfach verschwinden wird.

Ich glaube, dass die heutigen Konzepte im Einzelhandel nicht zukunftsfähig sind.

Wenn wir uns ansehen, was in den letzten Jahren mit großen Marken, wie Tengelmann, Karstadt und vielen anderen geschehen ist, stellt man schnell fest, dass die Welt für diese Unternehmen längst nicht mehr so rosig ist. Wir erleben hier einen deutlichen Umbruch im Markt. Werden wir solche großflächig über Deutschland verteilten Unternehmen in fünf bis zehn Jahren noch in dieser Form sehen oder sind das Konzepte, die aufgrund Ihrer Größe und anderer Faktoren einfach nicht zukunftsfähig sind?

Ja, ich glaube tatsächlich, dass diese Konzepte im Einzelhandel nicht zukunftsfähig sind. Das wird sicher nicht alle treffen, auch weil es einige gibt, die da schon deutlich gegensteuern.

Die Daseinsberechtigung für Handel in den vergangenen 100 Jahren war ja vor allem die lokale Verfügbarmachung von Waren an einem bestimmten Standort. Das hatte damit zu tun, dass man in seinem direkten Umfeld eingekauft hat und wusste, dass die Waren im Einzelhandel immer vorhanden sind. Diese Notwendigkeit gibt es heute eigentlich nicht mehr, weil Waren heute immer rund um die Uhr global verfügbar sind. Unternehmen wie Amazon liefern heute teilweise schon innerhalb einer Stunde zu mir. Die Verfügbarkeit ist also kein Alleinstellungsmerkmal mehr.

Ein weiterer Punkt ist die Beratung. Sie hatte vor allem in den Zeiten vor dem Internet eine echte Daseinsberechtigung. Heute weiß der Kunde, der in den Laden geht, ja oft besser über die Produkte Bescheid als der Verkäufer. Das sieht man besonders schön in Geschäften wie dem Media Markt – wenn man sich hier etwas mit Technik auskennt und sich mit dem Produkt auseinandergesetzt hat, weiß man in der Regel deutlich mehr als der Verkäufer im Markt.

Wenn wir uns die gesamte Handelsstruktur ansehen, gibt es im Einzelhandel heute ein starkes Mittelfeld, in dem wir vor allem große Ketten finden. Die werden es in der Zukunft sehr schwer haben. Wir werden auf der einen Seite große Plattformen, wie Amazon haben, und am anderen Ende kleine Händler, die in der Lage sind, eine spezifische Nische zu besetzen. Wir haben da zum Beispiel momentan einen starken Trend in Richtung Manufacturing, hin zu handgemachten, individuellen, personalisierten Produkten – das wird auch in einigen Jahren analog noch sehr gut funktionieren.

Die Einzelhandel-Player im heute großen Mittelfeld werden sich aber schnell die Frage stellen müssen, welchen Mehrwert sie noch generieren können. Wenn wir uns zum Beispiel Ketten wie H&M und Zara ansehen, haben diese vor allem zwei Argumente: Location und Preis. Diese beiden Themen werden durch Unternehmen wie Amazon aber komplett verschwinden. Amazon arbeitet aktuell zum Beispiel auch an Pilotprojekten, die es schon bald ermöglichen könnten, dass man innerhalb von 24 Stunden ein nach individuellen Wünschen angefertigtes Kleidungsstück bekommen kann.

Amazon wird sich aber sehr schwer tun, individuellere Nischenangebote zu machen. Angebote, die dem Kunden vermitteln, dass das Produkt oder die Dienstleistung nur in diesem einen Laden zu bekommen ist. Das sehen wir heute schon im Genussmittelbereich, wenn man sich einmal ansieht, wie viele Kaffees mit eigener Rösterei aus dem Boden schießen, wie viele unterschiedliche Craft Biere es inzwischen gibt. Die Leute suchen wieder das Besondere und das kann für viele Einzelhändler ein möglicher Pfad sein, bei dem sie sich fragen sollten, wie sie sich dort entsprechend positionieren können.

Nischenangebote können eine Chance für Einzelhändler sein.

Mit der Übernahme von Whole Foods ist Amazon jetzt ja auch einen großen Schritt in Richtung stationärer Einzelhandel gegangen. Geht es Amazon dabei um eine Omnichannel-Strategie oder ging es bei dem Deal mehr um die Marke und Zielgruppe des Unternehmens?

Wenn man sich Whole Foods mal etwas genauer ansieht und auch mit anderen Marken vergleicht, die Amazon übernommen hat, stellt man fest, dass es in dem Deal einige Assets gibt, die vermutlcih eine Rolle gespielt haben. Zum einen kauft Amazon mit der Übernahme natürlich Kunden beziehungsweise den Zugang zu Kunden. Mit Amazon Go gibt es ja auch ein Konzept für einen Supermarkt, der den Bezahlvorgang komplett automatisiert und alles, was ich beim Rausgehen in meinem Korb habe direkt über meinen Amazon-Account abrechnet.

Für Amazon wird es bei Whole Foods sicherlich spannend sein, sich das Thema „Last Mile“ genauer anzusehen. Das spielt, wie schon gesagt, im Lebensmittel-Bereich nach wie vor eine große Rolle und ist heute für Amazon nicht so leicht zu bewerkstelligen.

Ein weiterer spannender Punkt für Amazon war bei der Übernahme sicherlich die Nutzung der in den letzten Jahren mit viel aufgebauten Logistik-Infrastruktur. Mit Whole Foods hat man hier einen weiteren „Kunden“ im eigenen Haus, der eine starke Logistik benötigt. Dass Amazon sich gerne weitere Abnehmer für seine ursprünglich für die eigene Nutzung aufgebaute Infrastruktur sucht, ist ja nichts Neues – ein funktionierendes Beispiel sind die Amazon Web Services.

Amazon Go werden wir schon bald bei Whole Foods sehen.

Wie lange wird es Deiner Meinung nach dauern, bis wir bei Whole Foods ein Konzept wie Amazon Go im Einzelhandel-Praxis-Einsatz sehen werden?

Das wird mit Sicherheit kommen. Auch weil das Thema Mobile Payment ja nach wie vor eine sehr hohe Relevanz hat. Ich denke, dass das sehr schnell kommen wird – vermutlich in den nächsten ein bis zwei Jahren. Auch weil es ja eigentlich keine Rocket Science mehr ist. Das Backend ist im Endeffekt schon im Betrieb und die passende Customer Base ist auch schon da. Fehlen also nur noch die passenden Geräte am Point of Sale und dann funktioniert das Ganze.

Ich persönlich warte ja noch auf den Tag, an dem Amazon damit beginnt, Finanzdienstleistungen anzubieten. Denn das wäre eigentlich ein logischer Schritt. Wenn das Gehalt auf ein Amazon-Konto gehen würde, könnte man zum Beispiel Rabatte oder Angebote zur Ratenzahlung anbieten. Das wird aus meiner Sicht kommen und da ist das Thema Mobile Payment nur ein Segment.

Wenn das in den USA mit Whole Foods alles gut funktioniert, könnte ich mir auch gut vorstellen, dass Amazon in Deutschland ähnliche Deals machen wird. Wir haben hier ja durchaus potenzielle Kandidaten, die da interessant sein könnten.

Total
0
Shares
Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Prev
Arbeitszeiten: Flexibilität vs. Realitätsverlust?

Arbeitszeiten: Flexibilität vs. Realitätsverlust?

Wenn wir heute von Arbeitszeiten sprechen, schallt das Wort „Flexiblität“ quasi

Next
Harrison. Our All Father’s Day.

Harrison. Our All Father’s Day.

Begin Mindlog

Diese Beiträge könnten dir auch gefallen