Zu spät, immer wieder zu spät

Daniel Fürg

Das mit dem Timing scheint ein unüberwindbares Problem unserer Zeit zu sein. Wir sind immer zu spät, egal worum es geht. Klimawandel, Pandemie, Tierschutz, Digitalisierung und so gut wie alle anderen wichtigen Themen. Wir kommen nie rechtzeitig ins Handeln. Muss es denn wirklich immer erst richtig schmerzen, bevor wir uns nach Lösungen umsehen? Ist unser Harmonie- und Heile-Welt-Bedürfnis denn wirklich so groß, dass wir uns die Situation immer so lange schön reden, bis es nicht mehr geht? Oder liegt es eher daran, dass wir nicht wahr haben wollen, dass in unserer ach so perfekten Welt dann doch nicht alles so perfekt ist?

Die Pandemie ist ein Bilderbuchbeispiel für genau diese Problematik. Die vierte Welle war vorhersehbar. Kein ernstzunehmender Wissenschaftler oder Mediziner würde etwas anderes behaupten. Alle wussten, was da im Herbst auf uns zukommen würde – spätestens seit im Juli alle Modellierungen die schlimmsten Vermutungen bestätigten. Eine zu geringe Quote an Geimpften bedeutet Chaos – so einfach ist die bittere Realität. Statt sie ernstzunehmen haben wir allerdings lieber den ganzen Sommer lang so getan, als gäbe es das Virus gar nicht, als wäre alles vorbei, alles bereit für ein Leben wie vor der Pandemie. Sinnvolle Maßnahmen? Tests? Brauchte man alles nicht mehr.

Seither sind einige Wochen vergangen und die Zahlen erreichen fast täglich neue Rekordwerte. Und was machen wir, was macht die Politik? Über Wochen geschieht nichts. Alles nicht so schlimm, alles nicht so ernst – wir haben jetzt schließlich deutlich mehr Geimpfte. Und ja, das mit den Geimpften stimmt – aber wir haben auch immer noch viel zu viele Ungeimpfte, die nun dafür sorgen, dass die vierte Welle der Pandemie zu einer echten Katastrophe zu werden droht. Als das dann endlich auch dem letzten Politiker klar wurde, folgte wieder blinder Aktionismus. Wir hauen im schlimmsten Fall einfach mit dem Maximum an Maßnahmen auf alle Geimpften und Ungeimpften – das beste Beispiel hierfür ist Markus Söder und die Bayerische Staatsregierung mit dem geplanten Komplettlockdown in Hochinzidenzgebieten. Keine Strategie, kein Plan, keine Vision – einfach alles zu, egal ob sinnvoll oder nicht.

Was haben wir in 20 Monaten gelernt?

20 Monate Pandemie und wir haben nichts dazu gelernt. Bis heute gibt es keine verlässlichen Daten, kaum Auswertungen, mit denen man das Infektionsgeschehen analysieren könnte, mit denen man sinnvolle Maßnahmen planen könnte. Booster-Impfungen? Ja, erst nach sechs Monaten, dann nach fünf. Aber bitte zuerst die Alten, aber das ist nur eine Empfehlung. Macht was Ihr wollt, aber macht irgendwie bitte schon – oder so ähnlich. BionTech, Moderna? Ja, in rauen Mengen, aber nicht, wenn Moderna zu verfallen droht, dann Moderna.

Es ist kompliziert. Und das ist vor allem ein deutsches Problem. Überall sonst scheint man konsequenter, pragmatischer und strategischer zu handeln. Deutschland scheint ein Entwicklungsland zu sein, wenn es um das Lösen von Herausforderungen geht. Aber vielleicht hilft diese Erkenntnis ja, wenn wir die Pandemie als eine Art Katastrophen-Testlauf für den Klimawandel betrachten – naive Träume und Hoffnungen darf man ja haben.

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