Die politische Landschaft Deutschlands steht vor einer historischen Zäsur. Mit der bevorstehenden Bundestagswahl im Februar 2025 wird nicht nur eine neue Regierung gewählt, sondern auch ein neues Wahlsystem auf die Probe gestellt. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie Parteien auf die wachsende Unzufriedenheit und das Misstrauen der Bürgerinnen und Bürger reagieren können – insbesondere angesichts einer immer stärker werdenden AfD und dem neu gegründeten Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW). Prof. Dr. Ursula Münch, Politikwissenschaftlerin und Direktorin der Akademie für Politische Bildung Tutzing, betont, dass es mehr als bloße Rhetorik braucht, um Vertrauen zurückzugewinnen.
Das Parteienprivileg und die Herausforderung AfD
Die AfD ist in Umfragen die zweitstärkste Partei des Landes. Doch während manche Stimmen ein Verbot der Partei fordern, verweist Münch auf das sogenannte Parteienprivileg. „Parteien genießen in unserem Grundgesetz einen besonderen Schutz, und das ist auch richtig so. Es verhindert, dass politische Gegner leichtfertig ausgeschaltet werden können,“ so die Wissenschaftlerin. Ein Verbot, so Münch, würde die zugrundeliegenden Probleme nicht lösen. „Die Wählerinnen und Wähler bleiben ja bestehen. Das Misstrauen gegenüber der Politik wird nicht durch Verbote geheilt.“
Stattdessen sieht Münch die AfD als „Krisenprofiteure“. Sie nutze die Angst vor Migration, die Sorge um die eigene Sicherheit und wirtschaftliche Nöte, um ihre Zustimmung zu steigern. Doch diese Ängste seien nicht immer unbegründet: „Die Probleme sind real, aber die AfD übertreibt, spitzt zu und lügt, um Wählerinnen und Wähler zu mobilisieren,“ erklärt sie. Eine politische Antwort darauf müsse mehr als Beschwichtigungen oder Appelle an den gesellschaftlichen Zusammenhalt sein. „Wir müssen konkrete politische Lösungen anbieten, die Vertrauen schaffen.“
Migration, Wirtschaft, Krieg: Themen statt Persönlichkeiten?
Das Wahlsystem wird die Dynamik der Wahl stark beeinflussen. Erstmals wird der Bundestag durch das neue Bundeswahlgesetz auf 630 Abgeordnete reduziert, was die Bedeutung der Zweitstimme noch einmal erhöht. Doch wie können die Parteien ihre Wähler in einem Winterwahlkampf überhaupt erreichen? Während die AfD erfolgreich digitale Netzwerke wie TikTok und Telegram nutzt, bleibt unklar, ob andere Parteien ähnlich effektiv vorgehen können.
Wir brauchen keine Appelle zum Zusammenhalt, sondern politische Lösungen, die Vertrauen schaffen und den Menschen wieder Perspektiven geben.
Prof. Dr. Ursula Münch
Thematisch dominieren Migration, Wirtschaft und die Außenpolitik den Wahlkampf. Münch sieht hierin die Chance, Vertrauen zurückzugewinnen, warnt aber vor inhaltsleeren Wahlkämpfen. „Die Verteidigung der Demokratie muss jetzt stattfinden – nicht erst in vier Jahren,“ betont sie. Besonders kritisch sieht sie, dass zentrale Themen wie der Klimawandel aus dem politischen Diskurs verschwunden sind. „Dass Klimapolitik aus unserem Denken herauskatapultiert wurde, ist ein Versäumnis der aktuellen Regierung. Das wird uns teuer zu stehen kommen.“
Vertrauen als Schlüssel zur Demokratie
Am Ende wird die Wahlentscheidung nicht nur von Themen, sondern auch von Personen abhängen. „Vertrauen in politische Akteure ist essenziell für die Funktionsfähigkeit unseres Systems,“ sagt Münch. Gerade in einer Zeit, in der viele Bürgerinnen und Bürger von der Politik enttäuscht sind, müssen Parteien glaubwürdige Lösungen und überzeugende Persönlichkeiten präsentieren. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob dies gelingt.