Donald Trump macht, was er immer macht: Er wirft mit Zahlen um sich, über deren Realitätsgehalt er nicht lange nachzudenken scheint. Fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen alle NATO-Mitgliedstaaten künftig für Verteidigung ausgeben. Diese Forderung, vorgetragen mit gewohntem Selbstbewusstsein, ist weit mehr als ein bloßes Zahlenspiel. Sie zeigt, wie die USA unter Trump ihre Dominanz in der NATO verstehen – und welche Konflikte das für Europa bedeutet.
Eine Forderung aus der Luft gegriffen?
Die NATO hatte sich 2014 beim Gipfel in Wales darauf geeinigt, die Verteidigungsausgaben schrittweise auf zwei Prozent des BIP zu erhöhen. Ein Ziel, das damals als ambitioniert galt und heute, zehn Jahre später, immer noch von mehreren Mitgliedern nicht erreicht wird. Tatsächlich liegt der Durchschnitt der NATO-Staaten 2024 bei 2,71 Prozent, getragen von Ländern wie Polen (4,12 Prozent), Estland (3,43 Prozent) und den USA (3,38 Prozent). Doch fünf Prozent? Diese Marke sprengt nicht nur jede Kalkulation, sie widerspricht auch den politischen Realitäten.
Für Deutschland würde Trumps Forderung bedeuten, die Verteidigungsausgaben mehr als zu verdoppeln – auf über 200 Milliarden Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Der aktuelle Verteidigungshaushalt, einschließlich Sondervermögen und anderer Posten, beläuft sich auf 90,5 Milliarden Euro. Schon das Zwei-Prozent-Ziel wurde nur durch kreative Buchführung erreicht, wie die Einbeziehung von Rentenzahlungen für ehemalige DDR-Soldaten zeigt. Wie also sollen fünf Prozent finanziert werden? Wirtschaftsminister Robert Habeck fordert zwar eine Erhöhung auf 3,5 Prozent, stellt dafür jedoch die Schuldenbremse infrage – ein politischer Tabubruch, den selbst Habecks Koalitionspartner nicht mittragen wollen.
Trumps Kalkül: Druck auf Europa
Trumps Forderung nach fünf Prozent ist weniger ein ernstzunehmendes Ziel als ein strategisches Druckmittel. Schon in seiner ersten Amtszeit hatte er die europäischen NATO-Staaten massiv kritisiert und mit dem Austritt der USA aus dem Bündnis gedroht. Jetzt, in seiner zweiten Amtszeit, dürfte er diese Linie fortsetzen – mit noch mehr Vehemenz. Die Botschaft ist klar: Die USA erwarten, dass Europa mehr Verantwortung für seine Sicherheit übernimmt. Gleichzeitig erhofft sich Trump wirtschaftliche Vorteile für die US-Rüstungsindustrie, die von höheren Verteidigungsausgaben der NATO-Partner profitieren würde.
Doch Trumps Forderung bleibt widersprüchlich. Auch die USA selbst geben „nur“ 3,38 Prozent ihres BIP für Verteidigung aus. Seine fünf Prozent wirken daher eher wie ein rhetorischer Bluff, um Europa zu schwächen und gleichzeitig den Eindruck zu erwecken, die USA trügen weiterhin die Hauptlast in der NATO.
Europas Dilemma: Zwischen Realismus und Sicherheit
Die europäische Reaktion auf Trumps Vorschlag ist uneinheitlich. Während Länder wie Polen und die baltischen Staaten schon jetzt überdurchschnittlich viel für Verteidigung ausgeben, stehen westliche Staaten wie Deutschland, Spanien oder Italien vor massiven finanziellen Hürden. In Deutschland zeigt sich die politische Uneinigkeit deutlich: Während Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) betont, die Verteidigungsausgaben sollten sich am tatsächlichen Bedarf orientieren und nicht an abstrakten Prozentzahlen, nennt Kanzler Olaf Scholz (SPD) höhere Quoten „unausgegoren“. Die FDP und Teile der Union sehen die Zwei-Prozent-Marke als Untergrenze, warnen jedoch vor utopischen Zielen.
Die Herausforderung ist dabei nicht nur finanziell. Europa steht auch strategisch an einem Scheideweg. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat die Abhängigkeit von den USA als Schutzmacht erneut deutlich gemacht. Doch mit einem zunehmend unzuverlässigen Partner in Washington wird die Forderung nach mehr Eigenständigkeit in der europäischen Verteidigungspolitik immer lauter. Vorschläge wie ein europäischer „Souveränitätsfonds“ könnten hier ein Weg sein, um gemeinsame Projekte zu finanzieren und eine stärkere Abschreckung gegenüber Russland aufzubauen.
Ein Weckruf für die NATO
Trumps Fünf-Prozent-Forderung ist politisch unrealistisch und ökonomisch nicht umsetzbar. Doch sie ist ein Signal. Sie verdeutlicht, dass die NATO in ihrer jetzigen Form nicht ewig bestehen kann, wenn Europa nicht stärker Verantwortung übernimmt. Die Zukunft des Bündnisses wird davon abhängen, ob Europa bereit ist, sich strategisch und finanziell unabhängig zu machen, ohne die transatlantische Allianz zu gefährden.
Die europäische Sicherheitspolitik muss deshalb langfristig denken: Es geht nicht nur um Zahlen, sondern um den Aufbau glaubwürdiger Strukturen, die eine eigenständige Abschreckung ermöglichen. Nur so kann die NATO auch in Zukunft das bleiben, was sie bislang war: ein Garant für Sicherheit – trotz oder gerade wegen Donald Trump.
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